Wie Österreich den Menschenrechten von Menschen mit Behinderungen zum Durchbruch verhelfen will
- Kommentar
Österreich verpflichtet sich, die Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen zu fördern und zu gewährleisten. Dies hat Österreich per Gesetz bestätigt, indem es die UN-Behindertenrechtskonvention 2008 unterzeichnet hat.
Weil viele Menschenrechte von Menschen mit Behinderungen in Österreich aber noch nicht gewährleistet sind, braucht es klare Ziele und Vorhaben, wie man diese erreichen will, und zwar für jeden Bereich des Lebens: Vom Wohnen über die Schule, die Arbeit und die Freizeit. Österreich hat seine Strategie mit den einzelnen Zielen und Vorhaben im Nationalen Aktionsplan Behinderung festgelegt, und vor wenigen Wochen den „NAP 2022-2030“ veröffentlicht.
Der NAP 2022-2030 wurde Ende Juli 2022 im Ministerrat beschlossen - trotz Kritik von vielen Seiten. Denn der NAP zeigt einmal mehr, dass der Weg bis zu einer Gesellschaft, an der Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt teilnehmen können, in Österreich noch lang ist.
Um diese Kritik laut werden zu lassen, laden die Interessenvertretungen von und für Menschen mit Behinderungen am 28. September 2022 zu Kundgebungen und Mahnwachen in ganz Österreich ein.
Inhalte und Kritik am NAP 2022-2030
Das Budget fehlt
Klar ist, dass der Wandel zu einer inklusiven Gesellschaft und die Umsetzung von Menschenrechten nicht zum 0-Tarif gelingen können. Im NAP ist allerding nicht genug oder kein Geld für die geplanten Schritte vorgesehen. So steht im gesamten Kapitel zur Bildung, wo schon jetzt die Mittel für Inklusion an allen Ecken und Enden fehlen: „Bedeckung aus laufendem Budget“.
Für kleinere Vorhaben ist denkbar, dass aus den existierenden Budgets Mittel zusammengekratzt werden können. Für die wichtigsten Maßnahmen ist aber zu befürchten, dass die Mittel fehlen und sie daher nicht umgesetzt werden.
Inklusive Bildung soll zum Beispiel in der Planung der Bildungsdirektionen verankert werden. Notwendig wären zusätzliche Ressourcen allemal, Budget gibt es allerdings keines.
Budget fehlt auch für die Maßnahmen zur Verbesserung der Berufsausbildung für Jugendliche mit Behinderungen. Für die Pläne, Jugendlichen mit Behinderungen die Ausbildungspflicht bis 18 genauso zu ermöglichen, wie für Jugendliche ohne Behinderungen, ist kein finanzieller Rahmen festgelegt. Die Entscheidung darüber wird auf später verschoben: „Festlegung der Kosten erfolgt bei Budgetmittelaufteilung” (zitiert aus dem NAP 2022-2030).
Inklusion kann allerdings nicht zum Nulltarif gelingen.
Inklusionsfonds aus Mitteln des Bundes und der Länder gefordert!
Aus diesem Grund schlagen der Österreichische Behindertenrat und die Diakonie zur Finanzierung einen Inklusionsfonds vor. Er soll aus Mitteln des Bundes und der Länder gespeist sein und zumindest mit 500 Millionen Euro pro Jahr dotiert sein.
Und diese Summe ist sicher nicht zu hoch angesetzt, denn etwa 1,4 Millionen Menschen geben in Österreich an, mit Behinderungen zu leben. Mit einem Inklusionsfonds von 500 Millionen Euro würden Bund und Länder gemeinsam ca. 1 Euro pro Tag für jede betroffene Person ausgeben.
Zu wenige konkrete Ziele und Maßnahmen
Für den Nationalen Aktionsplan Behinderung arbeiten viele verschiedene Ministerien und alle Bundesländer zusammen. Das schwierige Unterfangen, zu einer gemeinsamen und klaren Strategie zu kommen und gemeinsam Umsetzungspläne zu entwickeln, ist an wenigen Stellen gelungen. Die Schritte zur Umsetzung sind an den meisten Stellen vage formuliert und die Erreichung der Ziele liegt sehr weit in der Zukunft.
Zwei Beispiele:
Im NAP wird der Ausbau von Angeboten zur Beruflichen Teilhabe von Menschen mit Behinderungen formuliert. In welchem Ausmaß und in welcher Form der Ausbau geschehen soll, wird nicht definiert, was eine Überprüfung der Zielerreichung ad absurdum führt. Zudem ist der Zeitraum von 2022-2030 sehr lange.
Arbeits- und Ausbildungsplätze für Menschen mit Behinderungen sollen in integrativen Betrieben ausgeweitet werden. Der zeitliche Rahmen ist überschaubar (2021-2023) und Budget ist vorhanden. Unkonkret bleibt aber, in welchem Ausmaß die Ausweitung der Arbeits- und Ausbildungsplätze geschehen soll.
Rückschritte in der Bildung
Im Kapitel zum Thema „Bildung für Menschen mit Behinderungen“ sucht man vergeblich nach konkreten Zielen, die quantitativ überprüft werden können. Es wird von Verhandlungen geschrieben und dem Austausch zu wichtigen Themen. Aber Zahlen, anhand derer man dann Fortschritte messen könnte, sucht man vergeblich.
So setzt man z.B. für eine Erhöhung der inklusiven Schulplätze in den kommenden Jahren keine konkreten Ziele und auch von dem in der UN Behindertenrechtskonvention vorgesehenen Rückbau der Sonderschulen ist nichts zu lesen. Evidenzbasierte, vorwärtsgewandte Bildungspolitik sieht anders aus.
In den elementarpädagogischen Bildungseinrichtungen, also den Kindergärten und Kinderkrippen, ist der hohe Bedarf an inklusiven Angeboten offenkundig. Einen Betreuungsplatz für Kinder mit Behinderungen von 1-3 Jahren zu finden, ist oft kaum möglich. Der NAP legt als Ziel allerdings bloß einen „Austausch“ des Bildungsministeriums mit den Bundesländern bis 2028 fest. Das ist eine beschämend lange Zeit.
Die Diakonie fordert dazu schon lang:
Inklusive Bildung ist gute Bildung für alle Kinder! Die Diakonie fordert die Politik auf, Inklusion nicht auf die lange Bank zu schieben. Es braucht ausreichend und qualitativ hochwertige Bildungsangebote für alle Kinder und Jugendlichen. Der Rückbau der Sonderschulen muss aktiv angegangen werden, Ressourcen in inklusive Settings verschoben und aufgestockt werden.
Wichtige Ziele bei Hilfsmitteln für Menschen mit Behinderungen
Positive Entwicklungen zeichnen sich bei Hilfsmitteln für Menschen mit Behinderungen ab. Hier nehmen sich Bund, Sozialversicherungsträger und Länder vor, zentrale Anlaufstellen zu schaffen, damit die Vergabe der Hilfsmittel leichter gelingt. Dies soll bereits bis 2024 geschehen.
Die Lücken bei der Finanzierung von Hilfsmitteln sollen bis 2030 geschlossen werden. Das sind immerhin noch acht Jahre, und das zeigt das Problem, dass man sich für die Betroffenen noch immer zu viel Zeit für die Umsetzung gibt. Bei nicht gelingender und erschwerter Kommunikation zählt allerdings jeder Tag.
Die Diakonie fordert seit über 10 Jahren:
Verbesserungen in der Versorgung von Betroffenen mit Hilfsmitteln müssen rasch umgesetzt werden. Die Lücken in der Finanzierung von Hilfsmitteln müssen jetzt geschlossen werden.