Wie kommen wir aus der Abhängigkeit vom russischen Gas?
- Kommentar
Es ist Sommer 2022. Infolge des Ukraine Krieges und der darauffolgenden EU-Sanktionen dreht Russlands Machthaber Wladimir Putin am Gashahn. Die europäischen Staaten, allen voran Österreich hatten sich schon Jahre zuvor in eine massive Abhängigkeit von russischem Erdgas begeben. Neben der Drosselung des Gasflusses führt auch die Verdreifachung des Preises zu einer massiven Energiekrise in Europa.
Nun wird fieberhaft nach alternativen Energiequellen gesucht, dabei steht im Südburgenland eine Biogas-Forschungsanlage, die schon um die Jahrtausendwende Weltruhm erlangt hatte. 2012 kam schließlich Arnold Schwarzenegger auf Besuch und meinte: „Die ganze Welt muss Güssing werden.“ Kurz danach musste die Anlage und das wissenschaftliche Forschungszentrum geschlossen werden, weil die Politik die Fördermittel abrupt stoppte. Der Geschäftsführer der Forschungsanlage, der Biogas Pionier Reinhard Koch musste Konkurs anmelden.
Christoph Riedl, Sozialexperte der Diakonie Österreich, hat ihn in seinem Büro in Güssing besucht und zum Interview gebeten.
Was ist Biogas eigentlich? Und wie lässt es sich nutzen? Könnte ich bei mir zuhause auch mit Biogas kochen?
Wir haben hier in Güssing, im Südburgenland in den letzten Jahrzehnten eine Vergasungstechnologie entwickelt, die aus Kohlenstoff Strom, Wärme, Erdgas, Wasserstoff und flüssigen Treibstoff erzeugen kann. Unsere Kohlenstoffquelle ist Biomasse aus Holzabfällen und Stroh von den Getreidefeldern der Region. Mit dieser Technologie erreichen wir einen 80-prozentigen Wirkungsgrad*. Das ist einzigartig und unsere Anlage wurde deshalb auch weltbekannt. Wir konnten allein mit unserer Anlage hier in Güssing mehr Strom erzeugen, als die Privathaushalte der Gemeinde verbrauchen konnten. Das Methangas, das wir mit unserer Technologie produzieren, ist chemisch ident mit dem Erdgas, aber eine vollkommen erneuerbare Energiequelle.
Zumindest in Ostösterreich gibt es ein weit verzweigtes Erdgasnetz bis in die kleinsten Ortschaften hinein. Gleichzeitig gibt es in Ostösterreich eine Intensiv-Landwirtschaft mit sehr vielen biogenen Abfällen. Wären das nicht ideale Bedingungen für die dezentrale Erzeugung und Nutzung von Biogas?
Das Methangas, das wir aus den Abfällen von Holz und Feldern produzieren, könnte problemlos in das Gasnetz eingespeist werden. Darüber hinaus dürfen derzeit 10 Prozent Wasserstoff, der ebenfalls in unserer Anlage in großen Mengen anfällt, beigemengt werden. Auf diese Weise können wir das russische Erdgas ganz einfach ersetzen. Und wenn das viele Gemeinden so machen kommen wir ziemlich weit. Ich gehe sogar soweit, zu sagen: Jede Gemeinde sollte ein Umwelt- und Energiekonzept haben müssen, genauso wie Kommunen ja auch ihre Konzepte zur Abwasserentsorgung, für Trinkwasser, für Abfallentsorgung haben müssen. Warum also nicht auch für Energie? Jede Gemeinde in Österreich könnte eine solche Anlage haben, die Abfälle aus Wald und Feld in Energie verwandelt. Und jede Gemeinde könnte sich damit zu 100 Prozent mit Strom und Gas, Treibstoff versorgen.
Jede Gemeinde sollte ein Umwelt- und Energiekonzept haben müssen, genauso wie Kommunen ja auch ihre Konzepte zur Abwasserentsorgung, für Trinkwasser, für Abfallentsorgung haben müssen. Warum also nicht auch für Energie?
Wenn diese Technologie so erfolgsversprechend ist, warum stehen dann nicht längst in ganz Österreich solche Anlagen? Oder gibt es hier vielleicht Parallelen zu anderen dezentralen Energieerzeugern wie Photovoltaik- Anlagen, Wasserkraft, oder Windkraft-Anlagen, deren Fortkommen jahrelang eher behindert als gefördert wurde?
Für überregionale Konzerne ist das dezentrale Prinzip nicht besonders attraktiv. - Es ist gerade das Schöne an diesen Anlagen, dass sie nur dezentral betrieben werden können. Damit bleibt die gesamte Wertschöpfung in der Region. Es sind hier innerhalb von 10 Jahren 1500 Arbeitsplätze in über 50 Betrieben entstanden, die sich angesiedelt haben. Eine Biogasanlage alleine schafft innerhalb von 20 Jahren eine lokale Wertschöpfung von 20 Millionen Euro.
Hier im Südburgenland sind früher die meisten nach der Schule zum Arbeiten nach Wien gezogen, oder sind gependelt. Jetzt haben sehr viele Familien hier Arbeit gefunden und unsere Region ist wieder lebendig.
Können von solchen Anlagen auch Sozialprojekte profitieren?
Wir haben damals mit der Caritas ein Beschäftigungsprojekt für langzeitarbeitslose Menschen initiiert, wo wir von Gemeinde zu Gemeinde gezogen sind und Holz gemacht haben. Wir haben das Uferholz gesammelt und haben den Wald gepflegt, indem wir das überschüssige Holz rausgeschnitten haben. Für unser neues Projekt planen wir einige Hektar Wald zu pachten und zu bewirtschaften. Dafür werden wir einige Leute anstellen und Motorsägen anschaffen.
Kann man sagen, dass die großen Energieversorgungsunternehmen und die Politik die Biogas-Idee nicht aus vollem Herzen unterstützt haben?
Man wollte diese dezentralen Konzepte nicht, weil Energie ist Geld und Geld ist Macht und die Energiekonzerne wollten diese Macht nicht aufgeben.
Unsere Versuchsanlage in Güssing war einmal das bedeutendste Froschungszentrum für Biomasse der Welt. Hier arbeiteten Wissenschafter:innen der Boku in Wien, des Joanneum Research, TU Wien, TU Graz und ein Jahr lang haben sogar neun Forscher:innen des MIT (Massachusetts Institute of Technology) an unserer Anlage geforscht. Wir hatten damals 100.000 Besucher:innen aus aller Welt, die unsere Anlage besucht haben.
Von einem Tag auf den anderen wurde uns von der damaligen Finanzministerin Fekter die Forschungsprämie gestrichen. Darlehen wurden plötzlich fällig gestellt und wir mussten sofort Konkurs anmelden. Der Status als Forschungsanlage wurde uns aberkannt.
Also offensichtlich gab es Leute in der Politik und in der Wirtschaft, denen diese dezentrale Entwicklung der Energieproduktion nicht gefallen hat.
Ist der Ausstieg aus dem Gas überhaupt sinnvoll? Kann es zur Gänze durch andere Energieträger ersetzt werden.
Derzeit reden alle von der Umstellung auf Strom, aber ich plädiere eher für die Beibehaltung eines Energiemix und für die Umstellung auf „grünes Gas“. Weil so viel Strom für Heizen und auch für das Autofahren, wie wir in Zukunft benötigen werden, nur schwer erzeugt werden kann.
Wir könnten mit dieser Technologie bis 2040 das gesamte russische Erdgas ersetzen, weil wir soviel Biomasse in Österreich haben. Voraussetzung dafür wäre ein Gasgesetz, damit den Produzenten das Gas auch abgenommen werden könnte.
Wie geht es weiter? Kann die Anlage ihren Betrieb wieder aufnehmen und sind weitere geplant?
Mein Bruder und meine Söhne haben eine Firma gegründet, in der ich nun mitarbeite und wir haben den Faden wieder aufgenommen. Derzeit planen wir die Errichtung einer neuen Pilot- und Forschungsanlage hier in Güssing, um aus dem Rohstoff Holz grünen Wasserstoff und grünes Erdgas zu erzeugen. Parallel dazu arbeiten wir an Konzepten zur Errichtung von weiteren Anlagen sowohl in Österreich als auch an anderen europäischen und weltweiten Standorten. Speziell in Österreich ist diese Technologie, durch die dramatische Situation des starken Schadholzanfalles in unseren Wäldern eine realistische Möglichkeit große Mengen an Energie, wirtschaftlich, hocheffizient und umweltfreundlich zu erzeugen. Wir entwickeln jetzt gemeinsam mit einem Partner 15 solche Anlagen in Österreich.
Danke für das Gespräch!
*Der Wirkungsgrad gibt an wieviel der erzeugten Energie nutzbar ist. Der nicht nutzbare Teil (z.B Abwärme) wird in die Umwelt abgegeben. Bei den üblichen Verbrennungskraftwerken (z.B Kohle oder Gaskraftwerke) liegt der Wirkungsgrad bei ca. 30 Prozent.
Autor:innen
Mag. Christoph Riedl
Grundlagen & AdvocacySozialexperte Migration, Asyl, Integration, Menschenrechte