Arbeit mit Behinderungen und ohne: Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit. Fragen, Antworten und Forderungen zum inklusiven Arbeitsmarkt in Österreich.

Recht auf (inklusive) Arbeit

Jeder Mensch – mit Behinderungen oder ohne – hat das Recht auf Arbeit. Für Menschen mit Behinderungen ist das Recht auf Arbeit in der Behindertenrechtskonvention festgeschrieben (Artikel 27). Arbeiten zu können, sollte für Menschen mit Behinderungen selbstverständlich sein. Leider ist der Arbeitsmarkt in Österreich aber noch nicht inklusiv.

Menschen mit Behinderungen begegnen häufig Vorurteilen, was ihre beruflichen Fähigkeiten angeht: Menschen mit Behinderungen würden langsam arbeiten, könnten nicht so viel leisten, seien bei der Arbeit nicht selbstständig – das sind einige solcher Vorurteile.

Menschen mit Behinderungen sind damit oft vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Sie können nicht arbeiten, obwohl es eigentlich ihr Recht ist. Und nicht arbeiten zu dürfen, bedeutet, dass sie nicht so am Leben mit anderen teilnehmen können, wie Menschen ohne Behinderungen.

Ich arbeite seit über 10 Jahren hier in der Großküche der Diakonie in Klagenfurt. Ich bin meistens als Abwäscherin tätig. Der Andi, der Küchenchef, ist der beste Chef, den man sich vorstellen kann! Hier geht es mir gut. Ich verdiene mein eigenes Geld und lebe selbständig in einer Wohnung hier ganz in der Nähe.

Sabine K., Küchenhilfe in der Großküche der Diakonie in Klagenfurt

Ich bin im ersten Lehrjahr und werde im April zum ersten Mal in die Berufsschule gehen. Darauf freu ich mich, weil ich am liebsten Kaffee zubereite, und ein richtiger Barista werden möchte. Ich liebe Kaffee, er duftet so gut und ich trinke ihn selber gern. In der Berufsschule kann ich dann einen Barista-Kurs machen. Hier im Stadtcafé gefällt es mir sehr gut. Ich wollte gern in die Gastronomie gehen, weil ich das von meiner großen Schwester schon früh kennengelernt habe, und ich immer schon gern Kaffee servieren wollte.

Marvin L. (15), Lehrling im Stadtcafé Klagenfurt.

Inklusiver Arbeitsmarkt in Österreich

Die Diakonie setzt sich dafür ein, dass jeder Mensch seine Fähigkeiten und Stärken einsetzen kann. Dafür ist es wichtig, dass die Arbeitsplätze an die Bedürfnisse der Menschen angepasst werden –  nicht umgekehrt, wie das bisher leider ist.

Ziel muss sein, dass jede und jeder seinen oder ihren Platz auf einem inklusiven Arbeitsmarkt finden kann.

Inklusiv ist der Arbeitsmarkt dann, wenn sich auch Menschen mit Behinderungen eine Arbeitsstelle aussuchen können, die zu ihnen passt und die  ihnen gut gefällt – und sie damit ihr eigenes Geld verdienen können und sozialversichert sind. Davon ist Österreich noch weit entfernt.

Die Forderungen der Diakonie

Um einen inklusiven Arbeitsmarkt in Österreich zu verwirklichen, fordert die Diakonie:

  • Gute, individuelle Assistenz
  • „Arbeitsunfähig"?:  Ein Perspektivenwechsel ist gefragt 
  • Durchlässigkeit am Arbeitsmarkt
  • Lohn statt Taschengeld

Die Forderungen im Detail:

„Um Inklusion zu erreichen, muss es für Menschen mit Behinderungen möglich sein, die jeweils individuell nötige Assistenz zu bekommen“, fordert Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. Assistenz kann heißen, bei der Arbeit, in der Schule oder im Privatleben eine Person zur Seite zu haben, die bei den anfallenden Tätigkeiten begleitet und unterstützt und im individuellen Fall auch zwischendurch Pflegetätigkeiten (wie Unterstützung beim Toilettgang o.ä.) versieht. Ebenso muss für Menschen ohne Lautsprache der Zugang zu assistierenden Technologien und technische Unterstützung für die Kommunikation möglich sein.

Bei Menschen mit Behinderungen wird festgestellt, ob sie „arbeitsfähig“ sind oder nicht. Ist eine Person als „arbeitsunfähig“ eingestuft, erhält sie Leistungen nach dem Landesbehinderten bzw. Chancengleichheitsgesetz. Um einer Arbeit am regulären Arbeitsmarkt nachgehen zu können, muss der festgestellte Grad der Behinderung unter 50 Prozent liegen. Seit kurzem findet die Feststellung der Arbeits(un)fähigkeit mit 25 Jahren statt – ein Schritt in die richtige Richtung, bisher wurde die Arbeitsunfähigkeit mit Ende der Schulpflicht festgestellt.

Das Problem: Ist die Arbeitsunfähigkeit erst einmal festgestellt, ist eine Arbeitsaufnahme im ersten Arbeitsmarkt sehr schwierig. Wir fordern daher einen Perspektivenwechsel weg von einem medizinischen Modell von Behinderung, das bisher bei der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit angewandt wird und Behinderung als ein Defizit am Menschen verortet hin zu einem sozialen Modell von Behinderung.

Dieser soziale Blick geht davon aus, dass Menschen nicht behindert sind, sondern durch bauliche, soziale oder rechtliche Barrieren behindert werden. Wenn es um die Feststellung der Arbeitsfähigkeit oder die Evaluation des Assistenzbedarfs geht, müssen die Fähigkeiten und das System um die Person herangezogen werden:

- Was kann die Person? 
- Wie können bauliche Barrieren aus dem Weg geschafft werden?
- Welche (technischen) Hilfsmittel würden den Arbeitsalltag erleichtert?
- Wie können Arbeitsabläufe gestaltet sein, damit sie inklusiv sind?
- Was braucht es an persönlicher Assistenz?
- Wo gilt es Barrieren im Kopf und Vorurteile in Unternehmen abzubauen?

Menschen mit Behinderungen können nicht zwischen einem Arbeitsplatz am allgemeinen Arbeitsmarkt und einem Arbeitsplatz in einer Werkstätte hin- und herwechseln. Das muss die Politik ändern. Um Inklusion am Arbeitsmarkt zu erreichen, ist „eine der wichtigsten Forderungen, dass es möglich sein muss, den Arbeitsmarkt durchlässig zu gestalten“, sagt Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. „Erst dann können Menschen nach ihren Fähigkeiten arbeiten und dabei zwischen unterstützten Formen der Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln.“ Bisher ist es so, dass, wenn ein Versuch einer Arbeitsaufnahme auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt scheitert, die Rückkehr in Werkstätten erschwert ist.

Menschen, die arbeiten können und möchten, wollen für ihre Arbeit auch entlohnt werden. Trotzdem ist es wichtig, dass sie ihre (für Assistenz und anfallende Pflegeleistungen) dringend benötigten Sozial- und Gesundheitsleistungen nicht verlieren. Deshalb fordert die Diakonie, dass eine Kombination aus Lohn und Sozialleistungen möglich wird, und alles, was an Unterstützungsleistungen gebraucht wird, über den dringend geforderten Inklusionsfonds finanziert wird.

Inklusion am Arbeitsmarkt: Fragen und Antworten

Alle Menschen mit Behinderungen haben das Recht, ihren Lebensunterhalt durch eine frei gewählte Arbeit verdienen zu können. Das ist im Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention festgelegt.

Österreich ist als Vertragsstaat der UN-Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet, einen inklusiven und durchlässigen Arbeitsmarkt zu schaffen.

Nein. In Österreich sind ca. 30.000 Menschen mit Behinderungen de facto vom allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen, da ihnen (frühzeitig) „Arbeitsunfähigkeit“ attestiert wurde. Als Folge der Feststellung der mangelnden Arbeitsfähigkeit werden Menschen mit Behinderungen auf eine Tätigkeit in Werkstätten oder anderen Tagesstrukturen/ fähigkeitsorientierte Aktivität der Behindertenhilfe verwiesen und haben dann kaum Chancen, im regulären Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Die Arbeitslosigkeit ist unter Menschen mit Behinderungen deutlich höher als unter Menschen ohne Behinderungen. Umgekehrt ist die Erwerbsquote von Menschen mit Behinderungen deutlich niedriger als unter Menschen ohne Behinderungen.

Damit sind Menschen mit Behinderungen in einem hohen Ausmaß vom Arbeitsmarkt und damit einem zentralen Aspekt der gesellschaftlichen Teilhabe ausgenommen.

Leider lässt das System der Behindertenhilfe bisher nur in Ausnahmefällen zu, für die Arbeit entlohnt zu werden, da die Menschen mit Behinderungen bei Lohnbezug ihre dringend benötigten Sozialleistungen (wie Pflegegeld, erhöhte Familienbeihilfe u.a.) verlieren. Diese Verknüpfung ist noch nicht aufgelöst.

In Kärnten gibt es bereits positive Beispiele

In inklusiven Beschäftigungsprojekten der Diakonie können Menschen mit Behinderungen, die sonst nur Platz in einer Werkstätte hätten, am ersten Arbeitsmarkt tätig sein. Im Rahmen des Programms „cool+“ beispielsweise werden Mitarbeiter:innen mit Behinderungen in Kärnten im Café und Bistro „gernda“ oder in der Großküche in Waiern nach Gastronomie-Kollektivvertrag beschäftigt und entlohnt, obwohl sie nach gesetzlicher Definition „arbeitsunfähig“ gelten. In der Großküche der Diakonie in Kärnten werden jeden Tag über 4.000 Portionen Essen hergestellt und verteilt. Menschen in Krankenhäusern, in Kindergärten, Schulen und auch zuhause bekommen täglich pünktlich ihre auf sie abgestimmte Mahlzeit auf den Tisch. Ein Leuchtturmprojekt der Diakonie, das durch eine Förderung des Landes Kärnten möglich ist, aber nicht flächendeckend.

 

Integrative Beschäftigung richtet sich nach den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Menschen mit Behinderungen. Sie arbeiten von einem halben bis zu fünf Tage pro Woche in ganz unterschiedlichem Stundenausmaß bei den Unternehmen. Meist handelt es sich aber um tage- bzw. stundenweise Tätigkeiten. Die Beschäftigten sind einzeln oder auch in Gruppen, alleine oder in Begleitung von Diakonie-Mitarbeiter:innen in den Firmen. 

Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten der Diakonie einer integrativen Beschäftigung nachgehen, werden in der Regel von den Mitarbeiter:innen der Werkstätten an ihre Arbeitsplätze begleitet. Diese Einsätze führen die Mitarbeiter:innen mit Behinderungen zum Beispiel in Supermärkte, zu Gartenmärkten, zu Bauhöfen und anderen Einrichtungen diverser Gemeinden und zu vielen kleineren Unternehmen in vielen Regionen Österreichs.

In den Werkstätten können die Menschen nach ihren Fähigkeiten Arbeiten versehen. Die Diakonie begleitet sie und versucht, sie möglichst aktiv durch Kooperationen mit Betrieben und Gemeinden beruflich teilhaben zu lassen. Beispiele zeigen diese Videos. 

In vielen Fällen haben unsere Klient:nnen in den Werkstätten der Diakonie einen relativ hohen und auch komplexen Unterstützungsbedarf. Das bedeutet, dass für diese Personen eine Überführung in den allgemeinen Arbeitsmarkt bei den aktuellen Gegebenheiten des staatlichen Unterstützungssystems schwierig ist. Wichtig wäre, den aktuellen Arbeitsmarkt in ein durchlässiges System umzuwandeln. 

Dieses System würde flexible Übergänge zwischen Nicht-Beschäftigung, einer Tätigkeit in Werkstätten, bei Sozialökonomischen Betrieben (SÖB’s), einer Beschäftigung im Rahmen einer Arbeitskräfteüberlassung sowie am ersten allgemeinen Arbeitsmarktes ermöglichen. Ein Wechsel zwischen diesen Formen von Beschäftigung wäre dann möglich, ohne soziale Absicherungen zu verlieren.  

Die Diakonie setzt sich dafür ein, den geteilten Arbeitsmarkt durch einen allgemeinen, durchlässigen inklusiven Arbeitsmarkt zu ersetzen.

Nein. Leider ist es so, dass Werkstätten für Menschen mit Behinderung bisher rein als Therapie-Angebot und als tages-strukturierendes Angebot gelten.  Dabei sollten auch Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten tätig sind, einen Lohn für ihre Arbeit bekommen. Leider ist das bisher nicht so. Sie bekommen nur ein Taschengeld, und sind deshalb bisher dauerhaft von Sozial- und Unterhaltsleistungen abhängig. 

Wichtig wäre es, den aktuellen Arbeitsmarkt in ein durchlässiges System umzuwandeln. Das heißt, wenn ein Versuch einer Arbeitsaufnahme auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt scheitert, muss die Rückkehr in Werkstätten gesichert sein. Nur dann können Menschen nach ihren Fähigkeiten arbeiten und dabei zwischen unterstützten Formen der Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln. - Und dann wäre auch die Frage des Lohns für Arbeit in Werkstätten gelöst.

Dafür setzt sich die Diakonie ein. 

"Ich will arbeiten!" - Diakonie Themenmagazin (2023)

Arbeit ist ein Menschenrecht. Arbeit ist grundlegend wichtig für das gesellschaftliche Zusammenleben. Wie der Weg in den Arbeitsmarkt geebnet werden muss, und wie ein inklusiver Arbeitsmarkt aussehen kann, darum geht es in diesem Heft. Und darum, wie Menschen durch Arbeit wachsen und welche Rahmenbedingungen es dafür braucht.