Teil 6: Was bedeutet Religionsfreiheit?

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30. März 2017
Zur Religionsfreiheit gehört das Recht, die innere Überzeugung auch öffentlich und in Gemeinschaft zu bekunden. Dazu gehört zum Beispiel, Gottesdienste und Riten öffentlich zu feiern, dafür auch Kirchen, Tempel oder Moscheen bauen zu können oder religiösen Bekleidungsvorschriften zu folgen.

Hintergründe zum Thema Religionsfreiheit - damit jede und jeder informiert mitreden kann. Eine Initiative von www.unsereverfassung.at in Zusammenarbeit mit dem Institut für öffentliche Theologie und Ethik der Diakonie.

Die Religionsfreiheit ist in Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention als unveräußerliches Menschenrecht verbrieft: „Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit des einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben.“ Unter Religion wird also zunächst eine Überzeugung verstanden.

Religionen unterscheidet von anderen Überzeugungen, dass sie sich auf Gott beziehen. Was genau unter Gott verstanden wird, ist von Religion zu Religion verschieden. Religiöse Überzeugungen sind aber dadurch geprägt, dass sie über die unmittelbare erfahrene Welt hinausreichen. Wichtig ist, dass in der Menschenrechtskonvention der Glaube an einen Gott und Überzeugungen, die ohne Gott auskommen oder den Glauben an einen Gott ablehnen, gleichberechtigt nebeneinander stehen. Jede und jeder hat das Recht, seine –  religiöse oder nichtreligiöse – Überzeugung frei zu wählen und zu wechseln.

Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit des einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung...

Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention

Die Religionsfreiheit ist aber nicht auf die persönliche Überzeugung beschränkt. Zur Religionsfreiheit gehört das Recht, die innere Überzeugung auch öffentlich und in Gemeinschaft zu bekunden. Das heißt, die Religionsfreiheit schützt auch die religiöse Praxis und das öffentliche Sichtbarwerden von Religionen. Dazu gehört zum Beispiel, Gottesdienste und Riten öffentlich zu feiern, dafür auch Kirchen, Tempel oder Moscheen bauen zu können oder religiösen Bekleidungsvorschriften zu folgen.

Hier liegt die Wurzel für einen Konflikt: Zum einen bedeutet Religionsfreiheit, dass jede und jeder seine Religion auch öffentlich ausüben kann. Man nennt das „positive Religionsfreiheit“. Zum anderen bedeutet Religionsfreiheit das Recht, von Religion(en) in Ruhe gelassen zu werden. Man nennt das „negative Religionsfreiheit“. Beispiele für diesen Konflikt sind die Diskussionen um Kreuz im Klassenzimmer oder Gerichtssaal, Kopftuchverbot und Minerettverbot.

Der Staat hat die Aufgabe, die freie Religionsausübung aller Bürger und Bürgerinnen zu schützen. Das beinhaltet auch die Freiheit, keine Religion auszuüben. Das kann der Staat nur, indem er alle Religionen und Weltanschauungen strikt gleich behandelt. Der demokratische Staat darf keine Option, die seine Bürger und Bürgerinnen treffen, diskriminieren und keine Option privilegieren – weder eine bestimmte religiöse Option, noch die Option, nicht zu glauben. Der Staat darf, mit Charles Taylor gesprochen, „weder christlich noch muslimisch noch jüdisch sein; aber ebenso wenig darf er marxistisch, kantianisch oder utilitaristisch sein.“

Manche meinen, die Neutralität des Staates gegenüber verschiedenen Religionen und Weltanschauungen lässt sich am besten umsetzen, indem man sagt: Religion ist Privatsache. Der Staat soll dafür sorgen, dass die verschiedenen Ausdrucksformen religiöser Bekenntnisse in der Privatsphäre gelebt werden. Nur so kann ein friedliches Miteinander gewährleistet werden. Aber das widerspricht, wie wir gesehen haben, der positiven Religionsfreiheit. Ein anderer Weg ist zu sagen: Aufgabe des Staates ist es, sich produktiv auf die Vielfalt der Überzeugungen einzustellen und dafür Sorge zu tragen, dass alle Überzeugungen an der öffentlichen Debatte teilhaben können.

Der Staat schützt nicht abstrakt „die Religion“ oder „die Weltanschauung“. Der Staat schützt vielmehr die Freiheit der einzelnen Person, einen Glauben oder eine Weltanschauung zu haben und zu leben. Die Religionsfreiheit schützt – wie jedes Menschenrecht – das Individuum, d.h. die einzelne Person und nicht eine Religionsgemeinschaft. Sie ist kein kollektives Recht. Daher können Religionsgemeinschaften nicht für sich beanspruchen, im Namen der Religionsfreiheit andere Menschenrechte außer Kraft setzen. Die Religionsfreiheit ist durch andere Menschenrechte beschränkt.

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