Wie individuell Pflege sein kann
- Story
Was bedeutet individuell alt werden?
Für Julia-Christin Gaum bedeutet individuelles Altwerden vor allem, in Entscheidungsprozesse miteinbezogen zu werden. Und: den Alltag aktiv gestalten zu können und gut unterstützt zu sein, wo es notwendig ist. „Es sollte mehr darum gehen, was dem Menschen im Leben wichtig ist – nicht nur, was er oder sie braucht oder ihm oder ihr zusteht.“ Nicht Defizite sollten im Zentrum stehen, sondern Fragen: Was klappt gut? Was möchte ich im Alter beibehalten?“
Julia-Christin Gaum ist Projektleiter:in von QplusAlter und hat das Projekt bei den diesjährigen Diakonie-Dialogen vorgestellt. Bei QplusAlter beraten hauptamtlich sogenannte Lots:innen ältere Menschen und ihre Angehörigen und unterstützen sie dabei, die passenden Hilfen für ihren Alltag zu organisieren. Gemeinsam mit den Lots:innen besprechen die Menschen was ihnen wichtig ist, welche Ressourcen ihnen zur Verfügung stehen und entwickeln daraus ein individuelles Unterstützungssetting. Die Lots:innen kommen aus dem Gesundheitsbereich und arbeiten sozialraumorientiert, das heißt sie sind im örtlichen Bereich vernetzt.
Auf der Suche nach kreativen Lösungen
Natürlich bleibt es nicht aus, sich mit Dingen zu beschäftigen wie: Was ist schwieriger geworden? Wo brauche ich eventuell Unterstützung? Und vor allem: Welche Möglichkeiten habe ich? Dass ein Leben im Alter auch von festen Strukturen abhängig ist, ist ein Punkt, der nicht außer Acht gelassen werden darf. „Wichtig ist, bei sich zu bleiben und sich zu fragen: Wie will ich im Alter leben? Was ist mir wichtig? Viele Menschen haben hier schon klare Vorstellungen, andere müssen sich zuerst im Dschungel der Angebote zurechtfinden. Hilfreich ist immer der Blick auf die eigenen Ressourcen, also darauf, was ich selbst tun kann, damit die Dinge, die mir wichtig sind, erhalten bleiben. Und der Blick darauf, welche Möglichkeiten und Angebote es im sozialen Umkreis und von Profis gibt. Hier kann Unterstützung von außen, zum Beispiel durch eine Community Nurse, helfen, Orientierung zu finden.“ Gaum betont, dass (auch gemeinsam mit externen Berater:innen) Möglichkeiten abseits des klassischen Hilfesystems betrachtet und nach kreativen Lösungen gesucht werden sollte: „Eine ältere Dame möchte zuhause wohnen, kann ihre Einkäufe aber nicht mehr selbst erledigen. Vielleicht gibt es eine:n Nachbar:in, der:die schon oft angeboten hat, das zu übernehmen. Oder eine Initiative im Stadtteil, die dabei unterstützen kann. Den Blick auch auf solche Hilfen auszuweiten, kann hier sehr wertvoll sein.“
Offene Gespräche führen zur richtigen Unterstützung
Hilfe anzunehmen, das ist nicht immer einfach. Gerade Menschen im Alter möchten ihrer Familie oder Nachbarn nicht zur Last fallen und Vieles selbst schaffen. „Im Projekt QplusAlter erleben wir oft, dass Menschen erst lernen oder akzeptieren müssen, Hilfe anzunehmen. Hier helfen mehrere Gespräche, in denen Vertrauen aufgebaut und dem Menschen auf Augenhöhe begegnet wird. Man muss Verständnis für dessen Vorstellungen haben und ihn immer wieder ermutigen, die nächsten Schritte zu gehen“, so Gaum. Wichtig sei auch, sich bereits als junger Mensch Gedanken über das Altwerden zu machen: „Man kann beispielsweise schon beim Hausbauen darüber nachdenken, ob nicht ein barrierefreies Bad sinnvoll sein kann. Ein paar Jahre vor Eintritt in die Rente sollte man konkret überlegen, wie man im Alter wohnen möchte, welche Optionen es gibt und auch bereits mit den engsten Vertrauten darüber sprechen.“ Angehörige fühlen sich oft verpflichtet, sich um Eltern oder Großeltern zu kümmern. Hier helfen offene Gespräche, in denen gemeinsam überlegt wird, wie das Unterstützungssetting aufgebaut werden kann, damit niemand überfordert ist.
Fokus auf den Menschen
„Letztendlich geht es doch darum: Der Mensch ist Experte für sein Leben, für den Lebensabschnitt, in dem er sich befindet. Wir unterstützen hier, die eigenen Vorstellungen zu sortieren, passende Angebote zu finden und dadurch mehr Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln und in den Blick zu nehmen: die eigenen und äußeren Ressourcen, die jemand hat, das Netzwerk, das bereit steht, die Umgebung, in der die Person lebt und die Hilfe von professionellen Diensten. Nur so kann sichergestellt werden, dass ein individuelles Leben im Alter möglich ist“, fasst Julia-Christin Gaum zusammen.
Im Diakoniewerk sind es die Community Nurses, die diese Unterstützungsaufgabe übernehmen. Sie beraten bei den Themen Bewegung, Ernährung, barrierefreiem Wohnen und helfen bei Fragen nach selbstbestimmten Altern bzw. suchen gemeinsam nach Lösungen und Möglichkeiten, um gut begleitet zuhause leben zu können.
Kurzinterview mit Community Nurse Alexander Egger
Es wird immer eine Lösung geben – sie muss nur gefunden werden. Manchmal geht das leichter, manchmal schwieriger. In unserer Rolle begleiten wir hier Angehörige und bieten neue Lösungsansätze an.
Prävention findet statt, wenn man sich für Gesundheitsprävention entscheidet. Gesundheit und Vorsorge für ein Leben im Alter fängt dort an, wo man sich bewusst darum kümmert. Das beginnt schon bei der richtigen Ernährung, über Krankenversicherungen und geht bis zur Patient:innenverfügung.
Auf den Menschen einzugehen und das Altern so zu gestalten, wie er oder sie es will. Selbstbestimmung ist das A und O. Das heißt nicht, dass man alles bekommt, was man möchte, denn das ist oft nicht möglich, sondern eine Lösung zu finden, die angenommen wird.
Wie möchten Sie alt werden?
Wir gehen auf den Menschen und seine Bedürfnisse ein und begleiten ihn individuell. Gute Pflege heißt für uns, Bedürfnisse zu erkennen und individuell zu antworten. Mobil oder stationär ist nicht die Frage - sondern wie möchten Sie alt werden?
Ein Leben im Alter muss individuell sein, so auch die Dienstleistungen, die Menschen benötigen.
Frau Mayer sucht eine Tagesbetreuung, um hier tagsüber gut begleitet zu werden – sie lebt mit Demenz. Herr Müller sehnt sich nach Gesellschaft zuhause, neben der Mobilen Hilfe, die vorbeikommt, um die Grundpflege zu machen.
Der Ausbau von bedarfsgerechten Pflege- und Betreuungsangeboten ist ein wichtiger Schritt und sollte Teil der Pflegereform sein – ein gesamthafter Blick, der bis dato fehlt.