Tagesbetreuung: Treffpunkt und Unterstützung
- Story
Ein Beitrag von Daniela Scharer.
Renate Undesser erzählt: Meine Mutter lebt mit Demenz. Obwohl sie relativ mobil ist, braucht sie rund um die Uhr Unterstützung, und wir können sie nicht mehr lange alleine lassen. Sie bekommt fünfmal die Woche Mobile Betreuung, immer in der Früh und zu Mittag. Seit zwei Jahren besucht sie zweimal pro Woche die Tagesbetreuung der Diakonie. Damit ist aber nicht die ganze Betreuungszeit abgedeckt. - An den Abenden und an den Wochenenden helfen wir als Familie zusammen. Ich sortiere die Medikamente für die ganze Woche ein, wir organisieren Lebensmittel und Verbandsmaterial sowie Arztbesuche und finanzielle Angelegenheiten.
Zusätzlich kommt alle 14 Tage eine Reinigungshilfe. Ohne diese vielen Hilfen ginge es nicht. Ich denke das Leben meiner Mutter eigentlich immer parallel zu meinem eigenen mit.
Dabei hat meine Mutter bis vor drei Jahren zum großen Teil alles alleine geschafft. Ab dann war sie zunehmend verwirrt, bis es zur Einweisung ins Krankenhaus kam, nachdem sie an einem kalten Oktobermorgen leicht bekleidet auf der Straße stand. Es wurde eine beginnende Demenz festgestellt, seit diesem Vorfall braucht sie intensive Betreuung.
"Mein Bruder und ich helfen zusammen. Eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung kann und will ich nicht mehr leisten"
Ich habe einen Vorteil, ich bin „vom Fach“ (Anm: Fr. Undesser arbeitete bei der Caritas in der Mobilen Pflege) und habe auch schon meinen Vater und meine Schwiegermutter gepflegt. Jetzt bei meiner Mutter helfen mein Bruder und ich zusammen.
Eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung kann und will ich nicht mehr leisten. Ich pflege aus Leidenschaft, aber ich habe gelernt – auch als Schutz für mich selber und für meine Familie – mir Hilfe zu holen. Und auch einmal „Nein“ zu sagen.
Umso wichtiger ist es für mich, meine Mutter gut betreut zu wissen. Weil meine Mutter erlebt hat, wie ich den Vater zu Hause gepflegt habe, hat sie glaube ich zu mir Vertrauen und akzeptiert diesen Weg. Trotz ihrer Demenz habe ich das Gefühl, sie erkennt einen Sinn darin, wie wir die Betreuung organisieren.
Wieso haben Sie sich für eine Tagesbetreuung entschieden?
Neben vielen Unterstützungsleistungen sind bei Menschen im Alter besonders soziale Kontakte und ein strukturierter Tagesablauf wichtig. Daher haben wir nach dem ersten Krankenhausaufenthalt nach einem Angebot gesucht, wo sie tagsüber Anschluss findet und trotzdem zu Hause wohnen kann. Seit zwei Jahren besucht meine Mutter immer am Montag und am Freitag die Tagesbetreuung der Diakonie. Anfangs war sie zusätzlich am Mittwoch noch bei einem Pensionisten-Nachmittag, aber das wurde ihr mit der Zeit zu viel. Zur Tagesbetreuung wollte sie aber auf jeden Fall. Sie genießt die Zeit dort immer sehr! Auch wenn sie abends sehr müde ist (lacht). „Es war stark“, sagt meine Mutter, wenn sie von der Tagesbetreuung nach Hause kommt. Sie freut sich auf Romana (Anm.: Romana Obermüller, Leiterin der Tagesbetreuung Gallneukirchen) und auf die anderen Gäste, auch wenn sie diese nicht immer beim Namen nennen kann. Aber ich weiß inzwischen schon, wen sie mein. Dass sie wirklich gerne in die Tagesbetreuung geht merke ich daran, dass sich meine Mutter immer am Sonntag ihr Gewand für Montag vorbereitet. Es ist ihr wichtig, in der Tagesbetreuung gut gekleidet zu sein.
Was ist das Gute an einer Tagesbetreuung?
Ich habe das Gefühl für meine Mutter ist das Wichtigste an der Tagesbetreuung, ihre „Freunde“, also die anderen Besucher und die Betreuer*innen, wieder zu sehen. Anschluss zu haben. Auch außer Haus zu gehen, raus aus den eignen vier Wänden. Die Gemeinschaft und das gemeinsame Tun sind gut für sie.
Das gemeinsame Kochen ist sicher nicht zufällig ein so wichtiger Fixpunkt. Die meisten Frauen dort haben früher selber gekocht. Wenn sie in der Tagesbetreuung gemeinsam kochen, so erinnert sie das an die vergangene Zeit. Das ist noch in ihnen drinnen. Es ist eine Erinnerung an das, was immer war. Gerade für Menschen mit Demenz sind soziale Kontakte und ein strukturierter Ablauf immens wichtig.
Die geschulten Mitarbeiter*innen legen viel Wert auf Gehirntraining und auf Demenztraining. Der Ablauf verläuft immer nach einem gewohnten Muster, auch das ist bei Demenz wesentlich, genauso wie die gewohnte Umgebung der Tagesbetreuung. Auch der Jahresrhythmus spielt eine große Rolle – Palmbuschenbinden, Weihnachtsfeiern mit Keksen etc. stellen Fixpunkte dar. Und ein weiterer wichtiger Aspekt: in der Tagesbetreuung ist jemand für SIE persönlich da – das fühlt sich für sie gut an. Ein Leben lang war meine Mutter für andere da.
Was hat sich verändert, als während der Corona-Pandemie die Tagesbetreuung geschlossen war?
Meine Mutter hat von Woche zu Woche abgebaut. Jetzt ist sie wieder stabil, aber ich habe das Gefühl, dass der Rückschritt nicht mehr aufzuholen ist. Der Besuch der Tagesbetreuung ist für sie eine Konstante – und diese ist in der Corona-Zeit abgegangen. Und nicht nur die Tagesbetreuung war geschlossen, auch die Mobile hat ausgesetzt, die Reinigungshilfe ist nicht mehr gekommen, Familien-Besuche waren nicht mehr möglich, sie konnte nicht mehr in die Kirche gehen. Es war wie ein „Cut“. Soziale Kontakte waren von heute auf morgen nicht mehr möglich. Man hat gemerkt, sie zieht sich zurück. Die Demenz hat einen Schub bekommen.
Was gefällt Ihnen an der Tagesbetreuung besonders? Haben Sie Anregungen?
Die Tagesbetreuung ist wichtig für meine Mutter, und stellt außerdem eine große Entlastung für uns Angehörige dar. Ich merke an mir selber, wie gut es tut zu wissen, dass meine Mutter gut betreut ist. An den Tagen der Tagesbetreuung kann ich etwas für mich selber tun, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.
Ich finde, das Angebot der Tagesbetreuung sollte ausgebaut werden, es sollte für alle ermöglich werden. Der Bedarf ist sicherlich größer als das Angebot. Eine Anregung wäre in Richtung Transport: wir zahlen für das Taxi für die Strecke Unterweitersdorf - Gallneukirchen (Anm.: 3,8 km, 6 min. im Auto) EUR 10,-, also EUR 20,- pro Tag für beide Strecken. Und da kann es passieren, dass der Taxifahrer nicht abwartet, bis meine Mutter die Haustüre aufsperrt. Wenn sie es nicht schafft, sitzt sie manchmal den ganzen Tag vor der Haustüre und wartet, bis mein Bruder oder meine Schwägerin (Anm.: wohnen nebenan, beide berufstätig) nach Hause kommen. Oft sind diese kleinen Puzzlesteine entscheidend. Da wäre es gut, wenn man eine Lösung, auch eine finanziell günstigere, finden könnte. Ich weiß, dass Bemühungen seitens der Leitung laufen, aber es ist schwierig.
Sie sprechen von den Kosten: Was würden Sie sich wünschen?
er nächste Schritt in unserer Situation wäre eine 24h Betreuung. Wir könnten dafür zwar den Platz aufbringen, nicht aber die finanziellen Mittel. Ein Heimplatz ist ebenfalls nicht möglich. Nachdem meine Mutter relativ mobil ist, wurde nur Pflegestufe 2 festgestellt. Die Demenz wurde offensichtlich nicht bewertet. Daher ist für uns die Tagesbetreuung – neben der mobilen Betreuung – unverzichtbar.
Ich selber sehe es als sehr wertvoll, dass meine Mutter zu Hause wohnen kann. Es tut ihrem Selbstwert und ihrer Eigenständigkeit gut.
Zuhause gut alt werden können, das wünschen wir uns doch alle!
Als Angehörige leistet man in diesem Fall ohnehin viel, aber in unserem Fall wäre die Betreuung unserer Mutter ein Full-Time-Job, der nebenbei kein Arbeitsverhältnis zulassen würde. Da sind Angebote wie die Tagesbetreuung immens wichtig und sollten von der öffentlichen Hand stärker unterstützt werden.