Seit ich wieder hören kann, bin ich wieder ein Mensch
- Story
Baschar* ist von Beruf Mechaniker und kommt ursprünglich aus Homs, von wo er aus dem Syrienkrieg fliehen musste. Bei einem Autounfall im Jahr 2012 erlitt er Verletzungen, die ihn bis heute stark einschränken. Er kann einen Arm nicht mehr richtig einsetzen – und beinahe nichts mehr hören. „Bis vor kurzem konnte ich überhaupt nicht verstehen was die Leute sagen. Ich konnte kein Gespräch mehr führen und hab mich dafür sehr geschämt”. Er erzählt auch von Ängsten, die er zuvor entwickelt hatte, zum Beispiel davor, seinen sechsjährigen Sohn anzubrüllen, weil er die Lautstärke seiner Stimme nicht einschätzen konnte.
Die Diakonie Katastrophenhilfe unterstützt mit der lokalen Partnerorganisation IOCC eine Gesundheitsstation im Camp Azraq wo Bashar wohnt. Dort werden Hör- und Sehdiagnosen erstellt und wenn nötig, Hilfsmittel bereitgestellt.
Baschar ist einer der Patienten, die ein Hörgerät bekommen konnten. Die Erleichterung ist ihm deutlich anzusehen. Jetzt kommuniziert er mit seiner Familie und der Gemeinschaft, alles hat sich zum Besseren gewendet. “Seit ich den Hörapparat habe, fühle ich mich wieder wie ein Mensch“, formuliert es Baschar selbst.
Im Camp konnte er jetzt administrative Aufgaben übernehmen. Und Arbeit ist im Camp-Alltag keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Die meisten Menschen würden gerne arbeiten, doch der UNHCR, der für die Ausstellung von Arbeitsgenehmigungen zuständige ist, kann solche nur in sehr begrenztem Ausmaß erteilen. Selbst die Möglichkeit zur Freiwilligenarbeit gegen geringe Entschädigungen, von zirka einem US Dollar pro Tag, erhalten längst nicht alle Arbeitssuchenden. Seit dem Jahr 2017 ist IOCC im Camp Azraq tätig, um auf Anfrage des UNHCR Unterstützung für Menschen mit Behinderungen bereitzustellen. Vielen Menschen, darunter auch vielen Kindern, kann seither medizinische Unterstützung angeboten werden, die sie dringend brauchen. Wie auch bei Baschar verändern die Hilfsmittel ihr ohnehin sehr schwieriges Leben zum Besseren.
Das Flüchtlingscamp inmitten der Wüste
Das Flüchtlingscamp Azraq liegt inmitten der jordanischen Wüste, 90 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Beinahe 40.000 Syrer:innen leben hier. Sie mussten vor dem Krieg in ihrem Heimatland fliehen, der bereits seit 11 Jahren andauert. Gegründet wurde Camp Azraq im Jahr 2014. Es ist eine junge Gesellschaft, die hier in Wohnwägen untergebracht ist: 61 % der Bewohner:innen sind unter 18 Jahre alt. Bei manchen reicht die Erinnerung kaum mehr an die Zeit vor Camp Azraq zurück. Angst nach Syrien zurückzukehren haben alle, (junge) Männer vor allem davor, dass sie sofort an die Front geschickt werden.
Im Vergleich zu anderen Flüchtlingslagern wurde Camp Azraq nach genauer Planung angelegt. Es gibt zwar kein fließendes Wasser in den Wohncontainern, aber immerhin Strom täglich von 9 Uhr morgens bis 22 Uhr am Abend. Im Winter, wenn es regnet, versinken die Straßen im Matsch. Für Menschen, die einen Rollstuhl nutzen, ist dann Fortbewegung beinahe unmöglich. Das Camp ist in sechs Dörfer unterteilt. Einen speziellen Status hat Dorf 5: Hier kommt kaum jemand
hinein – und schon gar niemand hinaus. Strenge Sicherheitsmaßnahmen herrschen, denn die Bewohner:innen stehen im Verdacht mit dem IS in Verbindung zu stehen. Oftmals verbringen sie viele Jahre hier. Einer von ihnen war Baschar*, bei ihm dauerte es zwei Jahre, bis er schließlich Dorf 5 verlassen konnte. Der Verdacht erhärtete sich nicht, wie in vielen anderen Fällen auch. Aber bis die Sicherheitskontrolle abgeschlossen ist, können mehrere Jahre vergehen.
*Name von der Redaktion geändert