Seelisch verletzte Kinder brauchen heilsame Beziehungen

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15. Februar 2019
Die Wunden seelischer Verletzungen bei Kindern zu heilen braucht Zeit und fachgerechte Hilfe.

Traumatische Erfahrungen und zerbrochene Beziehungen sind die die Ursachen für die seelischen Verletzungen. Kinder brauchen jemand, auf den sie sich verlassen können und an dem sie sich orientieren können. Je früher die Behandlung beginnt, umso besser die Prognose für die Zukunft.

„Warum darf ich nicht bei Mama sein?“ fragt der 8-jährige Paul seine Betreuerin beim Zubettgehen. Das war ein Monat nachdem er in der heilpädagogischen Kinderwohngruppen im Diakonie Zentrum Spattstraße aufgenommen wurde. Der Junge war mit seinem aggressiven und zerstörerischen Verhalten in der Schule aufgefallen. Mehrmals wurde er deshalb von der Schule ins Krankenhaus gebracht. Die Kinder- und Jugendhilfe hat entschieden, dass es für das Wohl des kleinen Jungen besser sei, wenn er nicht mehr bei seiner Mutter wohnt.

Heilpädagogische Kindergruppen

Paul ist eines von 18 Kinder, die in 3 Heilpädagogischen Kindergruppen betreut werden. Was sie gemeinsam haben, erzählt der pädagogische Leiter der Kindergruppen Wolfgang Zinganell: „Es sind seelisch verletzte Kinder, die durch ihr Verhalten meist in der Schule, manchmal auch schon im Kindergarten auffallen. Dadurch sind viele von ihnen bereits von klein auf in einer Außenseiterposition. Sie haben Gewalt, Missbrauch oder Vernachlässigung erlebt. Oft haben sie auch Trennungen erlebt von Menschen, die ihnen wichtig sind – durch Scheidung, Tod oder auch schwere Erkrankung, durch die ein Elternteil einfach nicht mehr verfügbar war. Sie haben erlebt, dass die Beziehung zu ihren Eltern schwierig ist.“

Pauls Mutter Anita war erleichtert, als ihr Sohn in die Kindergruppe kam. Sie schaffte es nicht mehr mit ihm, und ihr neuer Lebenspartner hatte viele Konflikte mit dem auffälligen Jungen. Zwei Jahre später beschreibt sie ihr Erleben:

„Ich wusste damals einfach nicht mehr, wie ich mit Paul umgehen soll und was mit ihm los war. Die Betreuerin ist wie eine Übersetzerin ­ sie kennt sich aus mit solchen Kindern. Heute verstehe ich, warum er oft so zornig war und was er braucht, um sich zu beruhigen. Paul ist gut aufgehoben. Mein Leben hat sich auch beruhigt. Die Kindergruppe ist auch für mich eine Hilfe. Unsere Beziehung ist besser. Ich freue mich, wenn er bald wieder bei mir wohnen kann.“

Laut Kinder- und Jugendpsychiater Primar Dr. Michael Merl nehmen seelische Verletzungen bei Kindern und Jugendlichen stark zu. Ein Viertel aller Jugendlichen leiden in Österreich aktuell an einer psychischen Erkrankung. „Eltern vermitteln ihren Kindern nicht mehr ausreichend Stabilität und Sicherheit. Es fällt ihnen schwer, die Elternrolle zu übernehmen. Die Kinder werden zwar versorgt mit Essen, Konsum-Artikeln, Events und Fun-Aktivitäten, aber sie haben oft zu wenig Zeit für Beziehungsgestaltung. Sozialen Medien lenken Eltern von der Beziehung zu ihren Kindern zusätzlich ab.“

In den Heilpädagogischen Kindergruppen passiert professionelles Krisenmanagement wie bei Paul. Hier erleben seelisch verletzte Kinder heilsame Beziehungen. Hier erfahren Eltern Entlastung und erlernen einen neuen Zugang zu ihren Kindern. „Diese Arbeit braucht viel Zeit und ausreichend Personalressourcen. Je früher die Behandlung beginnt, desto besser die Prognose für die Zukunft.“

Je weniger sich Paul um seine Mama Sorgen machte, umso weniger wurde auch sein Heimweh. Die Therapien, der geordnete Tagesablauf in der Gruppe und die Unterstützung beim Lernen gaben ihm Sicherheit und Halt.

 

Früher ging alles schief. Ich kann nichts, dachte ich immer. Aber diese Woche habe ich ganz alleine für unsere Gruppe 2 Liter Milch eingekauft. Alle waren stolz auf mich. Das war schön.

Paul, 8 Jahre

Die intensive Arbeit mit der Mutter hat sich ebenfalls gelohnt. Geplant ist, dass Paul in vier Monaten wieder bei seiner Mama leben kann. Die Rückkehr wird behutsam vorbereitet und auch danach wird die Familie begleitet und unterstützt. Bis dahin darf Paul seine Mama immer öfter am Wochenende besuchen.

Fakten zu psychischen Erkrankungen bei Jugendlichen

Eine österreichweite Studie belegt, dass ein Viertel aller Jugendlichen in Österreich aktuell an einer psychischen Erkrankung leidet. Befragt wurden Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren.

Störungen der psychischen Gesundheit gehören bei jungen Menschen zu den häufigsten Ursachen für den Verlust von Lebensqualität. Sie werfen unter Umständen lange Schatten bis weit in das Erwachsenenalter. In etwa de Hälfte aller psychisch erkrankten Erwachsenen waren im Teenager-Alter bereit erkrankt.

Prävention und sachgerechte Behandlung haben daher einen hohen gesundheitlichen, ökonomischen und gesamtgesellschaftlichen Stellenwert.

Quelle: Medizinische Universität Wien