Predigt Reformationstag: "Ein feste Burg ist unser Gott"
- Story
„Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie fest bleiben; Gott hilft ihr früh am Morgen. Die Völker müssen verzagen und die Königreiche fallen, das Erdreich muss vergehen, wenn er sich hören lässt. Der HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz. Kommt her und schauet die Werke des HERRN, der auf Erden solch ein Zerstören anrichtet, der den Kriegen ein Ende macht in aller Welt, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt. Seid stille und erkennet, dass ich Gott bin! Ich will mich erheben unter den Völkern, ich will mich erheben auf Erden. Der HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz.“ (Psalm 46,2-12)
„Er stirbt“, sagt Erika am Telefon, „bitte komm.“ Ich fahre ins Krankenhaus. Die Krankenschwester zeigt mir das Zimmer. Leise klopfe ich. Erika sitzt am Bett ihres Mannes. Er scheint kaum bei Bewusstsein. Erika hebt den Kopf, kommt zu mir auf den Gang. „Sie sagen, sie wissen nicht, ob er noch einmal nach Hause können wird. Vielleicht erholt er sich. Es kann aber auch jederzeit so weit sein“, sagt Erika. Sie löst den Blick von ihrem Mann und schaut mir in die Augen. „Ich weiß nicht, was ich beten soll“, sagt sie. „Soll ich beten, dass der Herr ihn zu sich nimmt und er nicht länger leiden muss? Soll ich beten, dass uns der Herr noch ein bisschen Zeit schenkt, ich hätte ihn doch so gern noch bei mir … Was soll ich beten?“
„Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.“ (Psalm 46,2)
Ach Gott,
wie groß können die Nöte sein!
Die ganz normalen Nöte des Alltags inmitten all der Nöte, die Klimakrise und Krieg bringen.
Wie groß können die Nöte sein!
So groß, dass mir die Worte fehlen.
In diesen Momenten, Gott, in denen ich stammle und verstumme,
in denen ich nicht weiß, was ich beten soll,
schenkst du mir Worte,
die Worte der Psalmen, die Menschen vor mir durch die Jahrhunderte gebetet haben,
Worte, an denen ich mich festhalten kann,
Worte, bei denen ich Zuflucht finde,
Worte, die aufgehoben sind in deinem Wort.
82 Millionen Menschen hungern in Ostafrika, 30 Millionen mehr als im Vorjahr. Ostafrika erlebt die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. Hunderttausende Ziegen und Schafe sind verendet, die Ernten sind verdorrt.
33 Millionen Menschen versinken in den Fluten. Die Monsum-Regenfälle in Pakistan sind die heftigsten seit mehr als drei Jahrzehnten.
Der Meeresspiegel steigt, und die Bewohner:innen der Fiji-Inseln fragen: „Wann ist es Zeit unsere Heimat zu verlassen und den Ort, an dem unsere Familien seit Jahrhunderten leben, dem Meer zu überlassen?“
Wenn sie Nachrichten über die Folgen der Klimakrise liest, wird Hanna von Trauer und Angst, Wut und Schuldgefühlen überwältigt. Wie gefangen fühle sie sich, meint sie zu mir. Wir müssten so viel tun, und tun es nicht. Und die Lage der Welt wird von Tag zu Tag schlimmer. Das Leben so vieler Menschen ist bereits bedroht, Tag für Tag werden es mehr. Manchmal fühlt sich Hanna starr vor Angst.
„Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.“ (Psalm 46,3-4)
Ach Gott,
ich höre das Psalm Wort „darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge“ und ich frage mich:
Wirklich, Gott? Wir fürchten uns nicht?
Müsste ich mich nicht fürchten, Gott?
Sollte ich mich nicht fürchten?
Sollten wir uns nicht fürchten?
Die Klimakrise ist zur Überlebensfrage geworden.
Sollten wir nicht die schlimmsten Folgen annehmen und alles tun, um sie zu verhindern?
Sollten wir nicht herauskommen aus der festen Burg unserer Filterblasen des Verleugnens, Verdrängens und Kleinredens und den katastrophischen Szenarien ins Auge blicken?
In Panik ausbrechen und handeln, als ob unser Haus niederbrennen würde?
Rumänien im März 2022. „Ich wollte einfach nur weg mit den Kindern. Weg von den Bomben. Weg aus Charkiw“, erzählt mir Julia. „Ich wusste nicht wohin.“ So wie Julia geht es vielen, die vor den Schrecken des Krieges aus der Ukraine flüchten. „Sie sind orientierungslos, wenn sie über die Grenze kommen, wissen nicht wohin“, sagt Constantin. Er ist rumänisch-orthodoxer Priester und tut Dienst bei einem Willkommenszelt in Radauti Prut, einem kleinen Grenzübergang im Dreiländereck Ukraine, Rumänien und Moldau. Gemeinsam mit anderen Freiwilligen aus seiner Pfarrgemeinde und in Zusammenarbeit mit Aidrom, einer Partnerorganisation der Diakonie Katastrophenhilfe, leistet er Nothilfe: Essen und Getränken, Hygieneprodukte und Windeln, Sim-Karten fürs Handy und Spielsachen für die Kinder, Informationen zu Unterkünften und Weiterreise. „Viele Tränen fließen“, sagt Constantin.
Was mir auffällt an den Grenzübergängen zwischen der Ukraine und Rumänien: Immer tun orthodoxe Priester Dienst, erkennbar an ihren schwarzen Soutanen. „So sehen die Menschen gleich, dass wir von der Kirche sind, das weckt Vertrauen“, meint Emanuel, Mitarbeiter unserer Diakonie-Partnerorganisation und ebenfalls Priester. „Mir ist es auch wichtig, ein spirituelles Angebot zu machen. Aber ich sage den Leuten nicht, dass alles gut wird. Wir wissen nicht, ob alles gut wird.“
“Der HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz. Kommt her und schauet die Werke des HERRN, der den Kriegen ein Ende macht in aller Welt, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt.“ (Psalm 46,8-10)
Nichts ist gut, Gott,
Es herrscht Krieg.
Ich sehe die Tränen der Opfer und ich frage mich:
Wird es gut werden, Gott?
Wie gerne würde ich das sagen Gott: Alles wird gut.
Doch wir wissen nicht, ob alles gut wird.
Es herrscht Krieg.
Du bist doch unser Schutz, Gott.
Das versprichst du uns, das glauben wir, das beten wir.
Ach Gott, ich sehne mich nach Eindeutigkeit.
Ich will wissen, wer die Guten sind und wer die Bösen sind, klar und eindeutig, und will auf der Seite der Guten stehen.
Und Gott, ich will dich auf unserer Seite wissen, auf der Seite der Guten.
Auf Seiten der Wahrheit, die unsere ist.
Ja, Gott, du bist auf unserer Seite. Doch nicht als Kriegsherr.
Du, Gott, machst allen Kriegen ein Ende, zerbrichst den Bogen, zerschlägst die Spieße.
Spielst nicht mit das kriegerische Spiel von Freund und Feind.
Was heißt das für mich?
Was heißt das für die Seite, auf der ich stehe?
Was heißt das für uns?
Seine Stimmung wurde in jenen Monaten immer apokalyptischer. „Satan hängt sich an mich mit mächtigen Stricken, um mich in die Tiefe zu ziehen“, schreibt Luther in einem Brief.
Der innere Zusammenhalt der reformatorischen Bewegung bröckelt. Es tobt ein erbitterter Streit um das rechte Verständnis des Abendmahls. Luther und seine Anhänger geraten in die Defensive. Nicht minder erbittert werden die Reformatoren von ihren Gegnern verfolgt. Selbst in Sicherheit, unter dem Schutz von Kurfürst Friedrich und dessen Nachfolger Johann, erreichen Luther Nachrichten von Verhaftung und Martyrium treuer Anhänger. Luther ist tief getroffen.
Im Juli 1527 erleidet er einen vollständigen körperlichen und geistigen Zusammenbruch. Ein Brausen in den Ohren, stürzt er zu Boden und verliert das Bewusstsein. Er rechnet damit zu sterben. Wenig später, im August sucht die Pest Wittenberg heim. Monate vergehen, die Seuche fordert immer mehr Opfer.
„Der HERR Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz“, wird Luther wohl gebetet haben – Psalm 46, das große Notgebet, unzählige Male gebetet in der Kirche seiner Zeit. „Ein feste Burg ist unser Gott“, dichtet er in jener Zeit. Und erinnert sich selbst und uns daran:
„Mit unsrer Macht ist nichts getan,
es streit’ für uns der rechte Mann,
den Gott hat selbst erkoren.
Fragst du, wer der ist?
Er heißt Jesus Christ.“ Amen.