Plaudertischerl: Wie das Vox Libri vom Nachhilfeinstitut zum Treffpunkt für Jung und Alt wurde
- Story
Vom Nachhilfelehrer zum Kaffeehausbesitzer
Während seines Slawistik-Studiums war Anel Čokić als Nachhilfelehrer tätig. Nach Studienabschluss gründete er sein eigenes Nachhilfeinstitut im Obergeschoß einer Buchhandlung. Schon bald wurden die Räumlichkeiten zu klein. In der Jörgerstraße 26 wurde Čokić auf der Suche nach einem größeren Geschäftslokal fündig. Nach einem Jahr Umbauzeit standen große, weiße Tische und Regale voller Bücher für die Nachhilfeschüler*innen bereit.
Wer mit dem frischgebackenen Vater spricht, spürt sofort seine Offenheit und Herzlichkeit. Mit großer Umsicht nimmt er die Bedürfnisse seines Umfeldes wahr. Kein Wunder also, dass die wartenden Eltern mit Kaffee und selbstgemachtem Kuchen versorgt wurden. Nach kurzer Zeit schon etablierte sich das Vox Libri als Treffpunkt für Jung und Alt und der Nachhilfeunterricht rückte in den Hintergrund. Die großen, weißen Tische aber blieben. Und das hat einen ganz besonderen Grund, wie Čokić erläutert:
„Heute kannst du dich unter 100 Menschen einsam fühlen. Das wollte ich aufbrechen. Deshalb habe ich diese großen Tische aufgestellt. Vor dem Lockdown gab es hier fast ausschließlich diese großen Tische,“ deutet Čokić auf einen der Tische und fährt fort: „Die Gäste müssen sich also früher oder später zu anderen dazu setzen. Alte Leute setzen sich zu jungen und umgekehrt. Es ist schön zu sehen, wenn sie ins Gespräch kommen. “
Manchmal ist Mama nach der Arbeit zur Tankstelle gegangen und hat warme, frische Semmeln gekauft. Das war für mich der Inbegriff von Luxus!
Mir haben damals Geschichten anderer geholfen und gezeigt, ich bin nicht alleine. Deswegen möchte ich auch meine Geschichte erzählen! Vielleicht liest das jemand, dem es genauso geht oder ergangen ist und merkt dadurch, er ist nicht allein.
Serbische Gedichte, Semmeln und schmerzhafte Erfahrungen der Einsamkeit
Mit einem Schmunzeln im Gesicht erzählt der Kaffeehausbesitzer über die Anfänge des Vox Libri. Beim Thema Einsamkeit wird die Miene des 29-jährigen etwas ernster. Einsamkeit, so Čokić, ist für ihn ein Thema, das ihn immer begleiten wird.
Čokić spricht sechs Sprachen. In seiner Erstsprache Serbisch verfasst er auch Gedichte. Diese Gedichte, so erzählt er, haben ihm durch eine finstere Zeit geholfen. Er ist als Sohn einer Alleinerzieherin aufgewachsen. Bevor sie in eine Gemeindewohnung ziehen konnten, waren sie für kurze Zeit obdachlos. Seine Mutter hat viel gearbeitet und war dadurch selten zuhause. Als Kind wünschte er sich eine Mama, die mehr Zeit für ihn hat. Als Erwachsener kann er die wirtschaftlichen Zwänge und Geldsorgen seiner Mutter verstehen. Noch heute haben warme Semmeln eine ganz besondere Bedeutung für ihn.
Als junger Erwachsener, so Čokić, war er fest davon überzeugt, seine Kindheit gut verarbeitet zu haben. Bis zu dem Moment, als ihn tiefe Gefühle der Trauer und Einsamkeit überrollten. Zwei Jahre lang lebte er sehr zurückgezogen und setzte sich mit seinen Erlebnissen auseinander. In Gedichten hat er diese Gefühle verarbeitet, visualisiert und zu Papier gebracht. Damals haben ihn auch Bücher und Gedichte anderer Autor*innen geholfen, um sich mit seiner Situation zurechtzufinden. Deswegen möchte er seine Geschichte mit anderen teilen.