Mobile Interkulturelle Hilfen - ein Neuanfang für Familien
- Story
Eine große, hübsche Frau, Ende 30, steht bei uns im Eingangsbereich von MIHI. Der erste Eindruck von Tiana ist der einer selbstbewussten, sympathischen Frau, die mit beiden Beinen fest im Leben steht.
Doch das war nicht immer so. Vor einigen Jahren noch wusste Tiana nicht, wie sie den Alltag stemmen soll, war depressiv, hatte kaum Energie zum Aufräumen oder um das Leben ihrer Kinder (Nikola, 6 Jahre, Mia, zwölf Jahre) zu organisieren, geschweige denn ihr eigenes. Termine konnte sie nicht mehr wahrnehmen, alles wuchs ihr über den Kopf. Sowohl in ihrem Inneren als auch im Außen herrschte Chaos in Tianas Leben. Als sich die Situation zuspitzte, wandte sich die heute 39-Jährige auf das eindringliche Anraten einer Bekannten hin an die Kinder- und Jugendhilfe: „Entweder du gehst jetzt dorthin oder ich melde dich!“ Tiana hatte den Mut selbst zu gehen und wurde dort zu MIHI, eine Einrichtung der Diakonie weitergeleitet, wo sie von Mejrima Heric betreut wurde. Tiana ist gebürtige Serbin und spricht wenig Deutsch, doch Mejrima übersetzt - und Stück für Stück erfährt man mehr über Tianas Geschichte und jene Zeit, als sie sich schon fast aufgegeben hatte.
Heute können die beiden Frauen, Mejrima und Tiana, mit einem Lächeln darauf zurückblicken und erzählen von den vielen Herausforderungen, aber auch den wichtigen Ankern in all den Wogen.
Es sind Welten zwischen der Person, die damals verloren vor mir stand und der Frau, die heute neben mir sitzt. Kaum zu glauben, was Tiana seitdem alles geschafft hat.
Der Tiefpunkt: Polizei, Drogen, Schulden
Als Tiana 2017 alleine nach Österreich kam, hatte sie weder Job, noch Wohnung. Sie wusste nur, sie möchte hier leben: „Wien ist mittlerweile mein Zuhause. Nach Serbien will ich nicht mehr zurück.“ Schnell fand Tiana einen Job, sogar in dem Bereich, in dem sie bereits in ihrem Heimatland arbeitete: als Friseurin. Nächtigen konnte sie die ersten drei Monate bei einer Freundin. In dieser Zeit hat sie sich einen Großteil von ihrem Lohn abgespart, um sich später eine eigene Wohnung leisten zu können. Zwei Dosen Thunfisch am Tag mussten reichen. Als sie genügend Geld zusammen hatte, kamen ihr Mann und ihre Kinder, die damals noch bei den Großeltern in Serbien wohnten, und sie zogen zusammen in eine Wohnung in Meidling. Ihr Mann arbeitete zuvor 21 Jahre bei der serbischen Polizei, hier in Österreich verdiente er sein Geld als Hauswart, auf Baustellen oder als Taxifahrer „In Österreich fingen bei ihm die Probleme an: Heroinsucht und Drogenhandel“, berichtet Tiana, „doch im Nachhinein denke ich, dass er schon viel früher mit den Drogen begonnen hat, aber mir fiel es zu spät auf. Erst in dem Moment, als bereits die Polizei vor unserer Türe stand und bei uns eine Razzia durchführte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen.“ Tianas Mann hatte sich schon länger auffällig verhalten: er war ständig unterwegs, kam spät nach Hause, traf Leute, die sie nicht kannte, kapselte sich ab.
Mejrima berichtet über ihre Arbeit mit Tiana: „Als ich sie kennenlernte, gab es keinerlei Struktur, keine Arbeit, kein Geld, keine Stabilität. Sie konnte sich zu nichts mehr aufraffen und hat keine Perspektive mehr gesehen. Zuerst mussten wir einen Plan für die nächsten Schritte machen.“ Im Vordergrund stand die Abklärung von Nikolas Verhalten (Autismus und Beziehungsstörung standen im Raum), Krankenhausbesuche und Therapien mussten organisiert werden. Danach mussten die Geldangelegenheiten geregelt und die Familie finanziell unterstützt werden. Das gesamte AMS-Geld wurde von der Miete verschluckt, zum Essen und Leben blieb nichts übrig. Zudem hat ihr Mann einen Schuldenberg hinterlassen. „Er hat einfach die Rechnungen nicht mehr bezahlt. Solange bis die Kinder nicht mehr in den Kindergarten und den Hort durften.“ Wir haben dann eine Schuldenregulierung beantragt und konnten u.a. über den Diakonie Armutsfond Geld für das tägliche Leben aufstellen“, erinnert sich Mejrima.
Nachdem die Basis organisiert war, ging es darum, Tiana zu stärken und zu unterstützen. Sowohl praktischer Natur, als auch psychisch. Bei der Jobsuche, bei der Kindererziehung, bei der Organisation des Alltages. Erziehungskompetenzen mussten gestärkt und ausgebaut werden. Denn das Paket war zu schwer für die alleinerziehende Mutter: der verhaltensauffällige Sohn und dann noch die Tochter mit Borderline-Syndrom, leichter Delinquenz und Schulvernachlässigung im schwierigsten Alter. „Mia weiß jetzt schon alles über Heroin, Kokain und Metadon. Sie ist total abgeklärt. Wir haben dann eine Gruppentherapie für das Teenagermädchen gefunden, eine Therapie im Einzelsetting und einen Kletterkurs“, verrät Mejrima.
Chancen ergreifen: Der steinige Weg zurück
Mejrima Heric arbeitet seit 10 Jahren bei der Diakonie, doch nicht alle Klient:innen gehen ihr so nahe. Die beiden Frauen haben eine sehr gute Vertrauensbasis aufgebaut. Tiana bewundert Mejrima: „…weil sie nichts aus der Bahn werfen kann. Sie hat so viel Kraft und Stärke, das möchte ich eines Tages auch haben.“
Die Aufgabe von MIHI ist die Betreuung und Begleitung von Familien bei Alltagsproblemen, Erziehungsaufgaben, Konflikten oder migrationsbedingten Herausforderungen. Gemeinsam werden hier Lösungen erarbeitet, um Familien und ihr Umfeld zu stärken und zu entlasten.
Das ist bei Tiana geglückt. Mejrima und MIHI waren ihre Strohhalme. Sie hat die letzte Chance ergriffen. „Ich dachte, ich würde unter der ganzen Last ersticken“, sagt die zweifache Mutter rückblickend. „Wäre ich nicht bei MIHI gelandet, wüsste ich nicht, wie es ausgegangen wäre. Sie hat gesehen, was ich damals nicht sehen wollte. Mejrima hat immer an mich geglaubt und mich aufgebaut. Als ich dachte, ich kann nicht mehr, hat sie geantwortet: „Du schaffst das! Wenn du jetzt nachlässt, hast du verloren.“
Die Stärkung des Selbstwertes ist eines der wichtigsten Dinge. Doch das ist oft gar nicht so einfach. Zu groß war ihre Angst, um Hilfe zu bitten und dass man ihr in Folge die Kinder wegnehmen könne.
Doch sie wurde positiv überrascht. Ihr wurde tatkräftig geholfen: bei der Organisation des Alltags, beim Erinnern von Terminen, mit Ärzten, Kontakten und Ansprechpersonen. „Es dauerte mindestens ein Jahr, bis es besser wurde. Das Ganze ist ein Prozess, man schlittert nicht von heute auf morgen in so etwas hinein und kann auch nicht von heute auf morgen alles wieder loswerden. Man muss geduldig mit sich selbst sein“, weiß Mejrima auch von anderen Klient:innen.
Das neue Leben kann beginnen
Tiana und ihr Mann sind mittlerweile geschieden, er wurde 2019 verhaftet, abgeschoben und lebt heute in Serbien. Sie ist sichtlich erleichtert, dass er nicht mehr in ihrer Nähe ist und sie ein neues Leben beginnen konnte.
Tiana hat eine Wohnung für sich und ihre Kinder in Schwechat gefunden, eine neue Beziehung und einen stabilen Job in der Feinkost eines Supermarkts. „Es ist nicht das Non-plus-Ultra, aber ich mache das jetzt die nächsten Jahre bis die Kinder groß sind. Irgendwann kann ich mir dann vielleicht meinen Traum vom eigenen Frisiersalon erfüllen. Aber das wird noch dauern. Zunächst einmal wünsche ich mir, dass die Kinder zufrieden sind, eine Ausbildung machen und wir in eine größere Wohnung ziehen können, wo jeder seinen eigenen Bereich hat. Und…“, fügt sie bescheiden hinzu. „…dass ich den Kindern einmal das Meer zeigen kann!“