Mit Demenz leben, man selbst bleiben
- Story
Neues Zuhause in der Hausgemeinschaft
Otto Fortin ist 91 Jahre alt und lebt erst seit August des letzten Jahres in einer Hausgemeinschaft der Diakonie, gemeinsam mit zwölf anderen Bewohner:innen. Für Herr Fortin war es ein großer Schritt sein gewohntes Lebensumfeld zu verlassen – wohnte er doch mit seiner Frau in einem Haus mit Garten in Saalfelden, mitten in der Natur und Bergwelt, wo er es gewohnt war, viel unterwegs zu sein. Der tägliche Spaziergang, der selbstgeschnittene Apfel früh am Morgen, die gegenseitige Hilfe im Haushalt - alles war selbstverständlich, erzählt seine Tochter Jutta, die wir in den Hausgemeinschaften treffen. Doch Schritt für Schritt gingen ihm alltägliche Handgriffe verloren und das Leben als Paar in einem großen Haus wurde zur Herausforderung. Eine 24h-Betreuung war während der Coronazeit für die Familie keine dauerhafte Option. Und so zog Otto Fortin für die ersten Sommer-Wochen 2021 zu seiner Tochter Jutta nach Wien. „Das Weggehen von meiner Mutter war sehr schwierig für ihn. Umgekehrt hat er uns Töchtern sehr vertraut. Er bemerkte selbst, dass er viele Dinge kognitiv nicht mehr schaffte“, erzählt heute Jutta Fortin, eine der drei Töchter.
„Mein Vater ist ein sehr lieber, sehr zufriedener Mensch – auch hier in seinem neuen Zuhause. Er hat sich mit der Hilfe aller so schnell hier eingefunden. Er hat es selbst so super gemacht. Wir sind sehr dankbar“, erzählt sie.
Mein Vater lebt mit Demenz - und es geht ihm gut
Fragt man die Tochter wie ihr Papa ist, so kommt ganz schnell: „Mein Vater ist ein großer Familienmensch. Ob die besondere Beziehung zu seinen Schwestern und seiner Mutter, die er immer hatte oder die zu seiner Frau, meiner Mutter und uns drei Töchtern, mein Vater liebte und liebt das Familienleben. Auch hier in seinem neuen Zuhause sind wir als Familie für ihn da und verbringen Zeit.“
Seit seinem zweiten Schlaganfall im Oktober des letzten Jahres ist Otto Fortin kognitiv wie motorisch sehr eingeschränkt, dennoch hat man den Eindruck, wenn man ihn trifft, dass es ihm gut geht. Im Wohnzimmer verweilend - es riecht nach frischem Apfelstrudel und Selbstgekochtem der Alltagsmanagerin- fühlt sich Otto Fortin sehr wohl. Gesellschaft hatte er immer geliebt und das ist heute noch so. „Mein Vater lebt mit Demenz - ja – mein Eindruck ist jedoch, dass es ihm wirklich gut geht. Er hat keine Schmerzen – er genießt schöne Momente mit Musik, Familie und Freunden. Die Wahl dieses Hauses war die richtige – es ist klein und übersichtlich, man ist mittendrin im Geschehen.“
Begleitung von Menschen mit Demenz
Heinrich Meder leitet die Hausgemeinschaften Erdbergstraße. Im Gespräch über Demenz und besondere Herausforderungen im Alltag schildert er sehr eindrücklich: „Wir begleiten Menschen mit Demenz wie jeden anderen Menschen im Alter auch.
Nicht die Diagnose Demenz steht im Vordergrund – sondern die Frage: wie erreiche ich den Menschen, welche Ressourcen sind vorhanden und wie begegne ich seinen Bedürfnissen.
Bei Männern ist oftmals der Kontrollverlust spürbar, der sich auch in Aggressionsausbrüchen zeigt. Sie glauben sie fallen in ein Loch, das Geld kommt abhanden. Bei Frauen zeigt sich die Demenz anders, sie wollen ihr Hab und Gut zeigen, wollen zum Friseur und planen alles sehr akribisch. Diesen Bedürfnissen kann man begegnen und zum Beispiel sagen: Ja das Geld ist wichtig, lassen Sie uns auf die Bank gehen. Man gibt Sicherheit und versucht dem Kontrollverlust entgegenzuwirken. In fortschreitender Phase sind es Erinnerungsfragmente, die wir aufgreifen - auch wenn die Konzentration abschweift.
Wenn die Sprache verloren geht, dann ist es die Berührung, die zählt – jemanden an der Hand nehmen, auf die Schulter greifen auch mal umarmen.
Gelebte Gemeinschaft und ein echtes Team
Was es braucht, um das gut zu schaffen? Ein gutes Team und ein Umfeld wo sich Mitarbeitende auch zurückziehen können, auf ihre eigenen Bedürfnisse blicken können – wissend, dass die Bewohner:innen auch in ihrer Pause gut begleitet sind. Der Ruf nach mehr Personal ist hörbar.
Auch Jutta Fortin sagt: „Das Besondere hier in den Hausgemeinschaften und das wird wirklich gelebt, ist die Gemeinschaft und Gesellschaft, die jede:r erfährt - und die kann nie genug sein.“ Und Heinrich Meder ergänzt: „Menschen, die am Tagesgeschehen teilnehmen können und mobilisiert werden, erleben ihre Demenz anders – der Verlauf ihrer Erkrankung ist anders.“ Otto Fortin ist heute Mittag in seinem Zimmer, seine Tochter mit ihm. Sie reicht ihm die Suppe, dann wird gemeinsam auf Italienisch gezählt. Uno, duo, tre, quattro,… - schön, die Familienwurzeln bleiben, auch wenn anderes schwindet.
Demenz: Online-Ratgeber
Für ein gutes Leben mit Demenz. Online-Ratgeber der Diakonie.