Michael Chalupka im Interview "Nur gemeinsam haben Organisationen Gestaltungsmacht"
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Herr Bischof Chalupka, Sie sind 1994 als Diakonie-Direktor angetreten und hatten dieses Amt 24 Jahre lang inne. Was waren die ersten Aufgaben, die Sie als Diakonie Direktor wahrgenommen haben?
Begonnen hat die Diakonie Österreich zu meiner Zeit noch in der Steinergasse, im Erdgeschoss in sehr beengten Verhältnissen. Wobei zwei Dinge klar waren: Einerseits war klar, dass man dort ausziehen wird. Die Vorarbeiten waren schon geleistet worden und die finanziellen Mittel sind bereitgestanden. So konnte man ein Büro für die „Zentrale“ einrichten und übersiedeln. Damals war das Büro noch sehr klein, mit fünf oder sechs Mitarbeiter:innen. Andererseits war schon klar, dass die Diakonie sich positionieren möchte in der sozialen Landschaft in Österreich. Das hat schon mein Vorgänger Ernst Gläser begonnen gemeinsam mit Schwester Helga – sie waren ein sozialpolitisches Duo, würde ich sagen, und unter anderem maßgeblich an der Einführung des Pflegegeldes in Österreich beteiligt.
Eine meiner ersten Aktivitäten war gemeinsam mit Martin Schenk der Einsatz für die Einführung der – damals noch – bedarfsorientierten Mindestsicherung, das war auch ein Impuls für die Gründung Armutskonferenz. Es braucht leider immer Jahrzehnte, bis solche Forderungen in irgendeiner
Weise umgesetzt werden. Und man sieht, wie gefährdet das ist, die bedarfsorientierte Mindestsicherung wurde erst vor kurzem wieder abgeschafft. Da braucht es in all diesen Bereichen – das ist mir so deutlich geworden – einen ganz langen Atem.
Wenn man Menschen fragt, die die Diakonie lange kennen, hört man, dass seit Mitte der 1990er Jahre die Stimme der Diakonie lauter geworden ist. Sind Sie mit dem Vorhaben angetreten, die Diakonie stärker in die Öffentlichkeit zu tragen?
Ja, das hat mit meiner Zeit begonnen. Aber es lag nicht an mir als Person, sondern das war eine gemeinsame Entscheidung der Diakonischen Werke und des Diakonischen Rates. Sie wollten die Rolle des neuen Diakonie-Direktors bewusst als Sprachrohr in der Öffentlichkeit angelegt haben. Und als dieses sollte ich von Anfang an fungieren.
Die Idee war, das im Sinne einer „doppelten Verkündigung“ zu tun: einerseits als Pfarrer und andererseits als das, was wir „Hilfe unter Protest“ genannt haben, nach Wieland Frank , also die Not der Menschen zu sehen, ihnen in der Not beizustehen und diese Not auch zu benennen und an der Veränderung der politischen Rahmenbedingungen zu arbeiten.
Wie hat sich das auf die Diakonie ausgewirkt?
Zuerst haben wir ja die Wende erlebt, und davor schon die vielen Menschen, die auf der Flucht aus dem zusammenbrechenden Ostblock bei uns angekommen sind, dann kamen die Krisen im Kosovo und am Balkan.
Es kamen immer mehr Spendenmittel und auch öffentliche Gelder, um den Menschen in diesen Krisen und Krisenländern zu helfen. Wir mussten die Verwaltung der Spenden dann von der Diakonie Österreich ins Hilfswerk verlagern, denn es war nicht das Ziel als Diakonie Österreich, operativ tätig zu sein. Auch hier war die Aufgabe der Diakonie Österreich die anwaltschaftliche Arbeit, das Hinweisen auf die Probleme und das Mitarbeiten an deren Lösung.
Aber ganz klar: Inhaltliche Schwerpunkte waren damals die Auslandsarbeit und die Flüchtlingsarbeit, und hier vor allem auch die Integration der Flüchtlinge. Und damals schon war viel zu tun in der politischen Kommunikation. Es ging um die Abwehr der ständigen Angriffe der FPÖ, der ständigen Verschärfungen in der öffentlichen Kommunikation und auch der Fremdengesetze.
Diakonie-Geschichte als Reihe von Geschichten von Personen
Im Jubiläumsjahr 2024 erzählen wir die Geschichte der Diakonie. Aber nicht als Geschichte von Organisationen, sondern als die vielen und vielfältigen Geschichten von Personen, die über die Jahrzehnte Diakonie gelebt, erlebt, geprägt haben: Gründer:innen, Mitarbeiter:innen, Klient:innen.
25 Personen aus 150 JahrenAngesichts der Krise am Balkan begann ja damals auch die Zusammenarbeit mit Nachbar in Not?
Ja, wobei Nachbar in Not anfangs eine Aktion von Rotem Kreuz und Caritas war, die Diakonie war damals noch kein Mitglied. Aber in Serbien konnte das Rote Kreuz nicht unabhängig tätig werden, weil es zu regierungsnahe war. Und so hat die Diakonie für Novi Sad Transporte organisiert und übernommen. Wir konnten auf ein kirchliches Netzwerk zurück greifen und waren unabhängig genug, um Hilfe zu leisten – das war öffentlich wenig bekannt: Das offizielle Österreich wollte Hilfe für die Bevölkerung, aber keinesfalls wollte man das Regime Milosevic unterstützen.
Da war es wichtig, die Spenden und auch die staatlichen Mittel professionell abzuwickeln. Und so wurde das Hilfswerks der Diakonie mit dieser Durchführung beauftragt, die Diakonie Österreich war dort im Aufsichtsrat.
Wie kam es dann, dass die Diakonie Österreich Mitglied von Nachbar in Not wurde?
Ich erinnere mich an eine Krisensitzung zum Kosovo, ich glaube, es war irgendein Osterfeiertag. In dieser Sitzung wurde entschieden, dass das Camp für die Vertriebenen des Konflikts im Kosovo, das das offizielle Österreich in Albanien aufbauen sollte, nicht vom Bundesheer, sondern vom Roten Kreuz organisiert werden soll. Das war auf unseren Vorschlag hin. Das hat, glaube ich, die Stellung der Diakonie und den Zusammenhalt entscheidend mitgeprägt. Es ist gelungen, Vertrauen aufzubauen, sodass Nachbar in Not geöffnet wurde und die Diakonie Partner geworden ist. Als dann die Stiftung gegründet wurde, waren wir waren die ersten, die dazugekommen waren. Und ich durfte dann der dritte Vorstand von Nachbar in Not sein.
Um Spenden zu bekommen und um politisch gehört zu werden, war es wichtig, dass die Diakonie bekannter wird. Was war da zu tun?
Das Gestalten der Marke Diakonie und ihrer Erkennbarkeit im öffentlichen Bereich und die Positionierung der Diakonie als Partner der anderen Organisationen war eine große Aufgabe. Schon die Gründung der so genannten „Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrt“ war eine wichtige Initiative, die auf Pfarrer Gläser zurückgeht, genauso wie das ÖKSA. Diese Kooperationen auszubauen, war von Anfang meiner Zeit als Diakonie-Direktor an Auftrag.
In der Diakonie vernetzt und gemeinsam zu arbeiten, war immer der Wille der diakonischen Einrichtungen in Österreich. Wir wussten: Die Diakonie ist in so vielen Arbeitsfeldern tätig, im Bereich Altenheime, in der Kinder- und Jugendhilfe, in der Behindertenarbeit, im Gesundheitsbereich, in der Bildung – da hat sie nur Gewicht in der Öffentlichkeit, wenn sie innerlich geeint agiert. Denn in jedem einzelnen Bereich für sich wäre die Diakonie ein kleiner Player.
Dass die Diakonie so divers aufgestellt ist, ist ihre Stärke. Diese Einheit in der Vielfalt müssen wir nutzen. Und so ist die Diakonie wirklich präsent geworden über die Zeit. Jetzt steht die Diakonie stark da neben den anderen Sozialorganisationen und ist z.B. in der Flüchtlingsarbeit, in der Menschenrechtsarbeit sicher einer der wichtigsten Player.
Können Sie zusammenfassend sagen, was in Ihren 24 Jahren als Diakonie-Direktor die wichtigste Aufgabe war?
Die wichtigste Aufgabe war für mich immer, Vertrauen aufzubauen. Sowohl innerhalb der Diakonie, zwischen ihren Mitgliedern, als auch mit den anderen Verbänden. Einfach aus dem Bewusstsein heraus, dass man allein keine Gestaltungsmacht hat. Das sind Prozesse, die immer wieder auszuhandeln sind. Die transparent und fair sein müssen. Der Diakonie ist in der Zusammenarbeit mit anderen Sozialorganisationen immer eine wichtige Rolle zugekommen, weil die Diakonie nicht zu groß und nicht zu mächtig ist, aber auch nicht zu klein, dass sie überhört werden könnte.
Als Diakonie-Direktor musste ich den Mitgliedern immer wieder vor Augen führen, dass die Diakonie Österreich eine Serviceeinrichtung, Vertretungs und Repräsentanz nach außen ist, gegenüber Ministerien und den anderen Wohlfahrtsverbänden. Ihre „Agentur“ sozusagen, die sozialpolitische Forderungen stellt und die operativ tätigen Werke und Einrichtungen unterstützt, indem sie ihre Anliegen und Ideen transportiert und lautverstärkend an die Öffentlichkeit bringt.
Was ist Ihnen wichtig, dass aus Ihrer Zeit bleibt?
Ohne Scherz: Am wichtigsten ist es, dass es uns gelungen ist, dass die Diakonie mit dem Adventkranz verknüpft ist. Der erste Schritt war, dieses Plakat mit dem Adventkranz in Form eines Rettungsrings aufzuhängen. Er war ein Symbol für Hilfe, aber auch eine Verbindung zur Geschichte der Diakonie, zu ihrem Ahnherrn, dem hamburgischen Pfarrer Johann Hinrich Wichern, und zu dem, was kirchlicher Auftrag der Diakonie ist.
Das Schöne an unsere Adventkranz-Aktion ist außerdem, dass die unseren Politiker:innen bzw. den Menschen, die Gesellschaft gestalten, manchmal auch etwas bringt und schenkt – und nicht immer nur etwas von ihnen fordert oder will. Das ist, glaube ich, ein ganz wesentlicher Punkt. Das soll mein Erbe bleiben!
Danke für das Gespräch!