Jugendliche Geflüchtete wollen auf eigenen Beinen stehen

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11. Juli 2024
In der UMF-Wohngruppe des Diakonie Zentrums Spattstraße werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die bereits einen positiven Asylbescheid haben, in die Selbstständigkeit begleitet. Lange Asylverfahren und suboptimaler Zugang zu Ausbildungsmöglichkeiten sind aber ein großer Stolperstein. Leiterin Karina Stockhammer erzählt aus dem Alltag.

„Das erste und wichtigste, wenn jemand zu uns kommt, ist: Deutsch lernen, am besten im Rahmen einer schulischen Maßnahme“, sagt Karina Stockhammer, Leiterin der Wohngruppe in Linz. „Ich bin der absoluten Überzeugung, dass, wenn man sofort Zugang zu guten Deutschkursen hat, man auch alles andere schaffen kann. Nur müsste man die Kurse verbessern, die es gibt.“

Nicht für alle Jugendlichen ist es nämlich mit dem Lernen so einfach, es fehlt oft an Basisbildung und Lernkompetenz, manche haben Lernschwierigkeiten und schaffen das nicht alleine. 

„Nur mit Deutschkurs die Jugendlichen so fit zu machen, dass sie überall super integrierbar sind, ist nach unserer Erfahrung unrealistisch. Es braucht mehr“, so Karina Stockhammer. Am besten wäre es, wenn Jugendliche sofort in kleineren Wohngruppen landen würden, wo es eine feste Tagesstruktur gibt. Das funktioniert in der UMF Wohngruppe wunderbar.

Junge Menschen in die Selbstständigkeit begleiten

Von den 14 Plätzen in der Wohngruppe sind derzeit 11 besetzt, von Burschen und Mädchen im Alter zwischen 16 und 19 Jahren. Grundsätzlich können junge Menschen im Alter zwischen 14 und maximal 21 Jahren untergebracht werden. Ob der Aufenthalt nach der Volljährigkeit verlängert wird, entscheidet die Kinder- und Jugendhilfe. Manchmal ist das nötig, denn jede:r hat sein eigenes Tempo.

Die Bewohner:innen und Betreuer:innen kommen sehr gut miteinander aus. Die Jugendlichen wohnen in 2-er oder 3-er WGs, jede Person hat so ihre Privatsphäre. Auch wenn die Jugendlichen Kontakt zu ihren Familien im Heimatland haben, sind die Betreuer:innen 24 Stunden am Tag für sie da. Sie unterstützen bei bürokratischen und organisatorischen Aufgaben, begleiten zu Arztterminen, haben ein offenes Ohr für Sorgen und Ängste.

Gekocht und geputzt wird von den Jugendlichen selbst, gemeinsame Freizeitaktivitäten werden für sie und mit ihnen organisiert. Diesen Sommer steht sogar ein gemeinsamer Urlaub an, obwohl das gar nicht im Budget ist. „Das haben wir uns selber zusammengespart“, sagt Karina Stockhammer. Für ein paar Tage geht es nach Italien. „Es ist was Besonderes für sie, wir wollen ihnen das ermöglichen. Andere Teenager in ihrem Alter haben sowas auch, und sie freuen sich alle schon sehr darauf und wollen unbedingt nach Venedig.“

Lange Asylverfahren bremsen erfolgreiche Integration

„Es ist uns wichtig, dass sie eine Tagesstruktur haben. Damit sie rauskommen aus dem Mindset, das sie wegen der widrigen Gegebenheiten in der Grundversorgung hatten: dem Nichts-tun-KÖNNEN.“ Während des Wartens auf einen Asylbescheid haben die Jugendlichen nämlich keine Möglichkeit zur Weiterbildung oder auf Deutschkurse, Beschäftigung oder Arbeit und können nicht annährend so gut betreut werden.

Als subsidär Schutzberechtigte dürfen die Jugendlichen dann grundsätzlich arbeiten. Unter 18 gilt aber auch für sie in Österreich die Ausbildungspflicht, sie könnten eine Lehre machen – aber das ist nur für einen sehr geringen Prozentsatz der Jugendlichen möglich. 

Berufsausbildung unter schwierigen Vorzeichen

Für die Berufsschule braucht es zunächst einmal ausreichend Deutschkenntnisse, und das braucht Zeit. Wenn die Jugendlichen in der Betreuungseinrichtung ankommen, sind sie oft schon Monate oder Jahre im Asylverfahren festgesessen. Mit 17 noch eine Lehre zu beginnen, macht dann meist keinen Sinn mehr – das Lehrgeld reicht nicht, um sich selbst zu erhalten, und das müssen die meisten mit ihrem Auszug mit 18. Damit gibt es den Zugang zur Lehre eigentlich nur auf dem Papier, obwohl es die Lehrstellen schon gäbe.
Gute Erfahrungen haben alle Beteiligten mit Pflichtschulabschlusskursen des BFI gemacht. Noch besser wäre die Möglichkeit, ganz normal in die Schule zu gehen, da es den Spracherwerb noch fördern würde. Sobald die Jugendlichen auf Deutsch-Niveau A2 sind, haben sie sehr gute Chancen auf den Abschluss. 

Jobs und interessierte Arbeitgeber:innen gibt es. Aber es braucht eine sprachliche Basis.

Es hängt alles zusammen: Jobs und interessierte Arbeitgeber:innen gibt es. Aber es braucht eine sprachliche Basis. Mit genügend Sprachkenntnissen kann im Job, in dem sonst niemand die eigene Muttersprache spricht, die neue Sprache gleich besser gelernt werden – es geht ja nicht anders. Dadurch gibt es in Folge bessere Jobmöglichkeiten und mit dem Lohnzettel in der Hand wird die Chance auf eine eigene Wohnung greifbar.

Wenn die Betreuung funktioniert, gibt es Erfolgsgeschichten

Durch die engmaschige Betreuung und Unterstützung, die in der Wohngruppe möglich sind, ist die Erfolgsquote hoch. „Jede Person, die bei uns auszieht, hat am Ende einen Job. Auch unsere derzeitigen Bewohnerinnen haben schon kleine Jobs. Eine Klientin arbeitet in einer Konditorei, ein anderer in einem Sushi-Restaurant, ein Mädchen arbeitet im Kindergarten. Das sind alles Hilfsarbeiterjobs. Aber man kann ja klein anfangen – und so können sie dann bald auf eigenen Beinen stehen, wenn sie ausziehen“, so Karina Stockhammer.

Klein anfangen und bald auf eigenen Beinen stehen

Ein besonderer Moment ist es für die Betreuer:innen immer, wenn die Familienzusammenführung dann klappt. Bis dahin ist es ein riesiger bürokratischer Aufwand für alle Beteiligten und ein oft sehr langes Warten. In der Einrichtung hat sich eine schöne Tradition eingebürgert: wenn der finale Termin bei der Botschaft für das Visum der Familie fix ist, gibt es einen Blumenstrauß für den Teenager – dann weiß jede:r gleich, was das bedeutet. „Man sieht, wie eine Last von ihnen abfällt. Denn kein Kind sagt freiwillig: ich flüchte jetzt in ein fremdes Land, ganz ohne Eltern.“

Lassen wir die jungen Menschen nicht im Stich!

Damit Menschen, die sowieso schon da sind, und arbeiten wollen, das auch zeitnah dürfen und können, bräuchte es niederschwelligere Ausbildungsmöglichkeiten. Niemand will den ganzen Tag tatenlos herumsitzen. Die Jugendlichen haben Hoffnungen, Ziele, Berufswünsche und wollen auf eigenen Beinen stehen.

 „Mein Wunsch wäre, dass unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, sobald sie in Österreich ankommen, nach kurzer Zeit schon in so kleine Einrichtungen wie unsere kommen, und auch mehr Geld schon in der Grundversorgung bekommen. Dann haben wir die Möglichkeit, sie viel besser zu betreuen, und dann lässt sich sehr viel erreichen. Ohne Geld und ordentliche Unterbringung ist das schwierig. Niemand von uns könnte längere Zeit so leben. Warum muten wir das jungen Menschen zu, die nach Sinn, Aufgabe und Zielen suchen?“

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Ihre Ansprechperson zu dieser Story

Dr.in Roberta Rastl-Kircher
Pressesprecherin & Medienarbeit