Empathie und Mitgefühl
- Story
Das Interview mit der Diakonie Direktorin führte Franz Feiner, Co-Herausgeber der „Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge“ - www.iigs.at.
Franz Feiner: Frau Moser, wir sprechen im Folgenden über „Empathie und Mitgefühl“ – Was sind dazu Ihre ersten Assoziationen?
Maria K. Moser: Wenn ich als Kind geweint habe, z.B. weil ich mir wehgetan habe, hat meine Schwester begonnen mitzuweinen. Auch wenn der Grund, der mich zum Weinen gebracht hat, sie gar nicht betroffen hat. Heute geht es mir immer wieder so, dass ich, wenn ich anderen zuhöre, ihren Schmerz spüre und mir Tränen in die Augen steigen.
Mitgefühl ist das Gegenteil von Sich-Abschotten. Mitgefühl heißt, sich berühren zu lassen von den Gefühlen anderer. Sich berühren lassen von der Situation anderer, die Ungerechtigkeit erleben, ist ein Motor für den Einsatz für Gerechtigkeit. In diesem Sinne ist Empathie auch ein politisches Gefühl.
Sie leiten die „Diakonie Österreich“. Was sind die Haupt-Aufgaben dieser großen Einrichtung und welche Rolle spielen „Empathie und Mitgefühl“?
Die Hauptaufgabe der Diakonie ist da sein für Menschen: Kinder und Jugendliche, die gute Bildung brauchen oder aus verschiedenen Gründen nicht bei ihren Familien leben können; junge Familien, die sozial isoliert sind; Menschen mit Armutserfahrungen, die eine warme Mahlzeit oder ein Dach über dem Kopf brauchen; Menschen in anderen Ländern, die mit Armut oder Katastrophen zurechtkommen müssen; Menschen mit Behinderung, die Unterstützung brauchen, damit sie ihr Leben selbstständig leben können; alte Menschen, die Pflege brauchen; Kranke mit und ohne e-Card; Menschen auf der Flucht.
Was da sein heißt, fasst das Mission-Statement der Diakonie zusammen: „Wir wollen Menschen ein Leben in Fülle ermöglichen, indem wir sie dabei begleiten, ihre Gaben wachsen zu lassen, und uns für Rahmenbedingungen stark machen, diese Gaben auch einsetzen zu können.“
Begleiten braucht Empathie, denn es geht darum, gemeinsam mit anderen ihre Gaben und Fähigkeiten zu entdecken, aber auch ihre Wünsche und Interessen wahrzunehmen und gleichzeitig leidvolle Erfahrungen und Probleme ernst zu nehmen. Sich für gute Rahmenbedingungen stark machen braucht Empathie im Sinne des oben beschriebenen politischen Gefühls.
Im Leitbild der „Diakonie Österreich“ heißt es: „Diakonisches Handeln beginnt mit der Wahrnehmung von Not“ – was sind die größten Nöte der Menschen in Österreich?
Zu dieser Frage ist viel zu sagen – und wenn ich beginne aufzuzählen, besteht die Gefahr, dass jemand sagt: du hast diese oder jene große Not vergessen. Was die vielen großen Nöte verbindet, ist die Stigmatisierung von Menschen in Not: Es gehört zum Umgang unserer Gesellschaft mit sozialen Problemen, dass in den Betroffenen nur das Problem gesehen wird: in den Armen hierzulande nur die Sozialhilfeempfänger, in SlumbewohnerInnen in Afrika nur Armut, Gewalt und AIDS, in Menschen mit Demenz nur die Krankheit, in Obdachlosen nur die gescheiterten Alkoholiker, in Asylwerbern nur die Kriegsopfer oder Wirtschaftsflüchtlinge.
Betroffene werden reduziert auf ihr Problem. Aber Menschen mit sozialen Problemen sind mehr und etwas anderes als ihr Problem. Sie haben Wünsche und Träume, sie denken und handeln, sie ringen mit den Umständen, unter denen sie leben, sie leiden, machen Fehler, erleben Schönes, freuen sich. Wie jeder Mensch. Das wahr- und ernstzunehmen, hat auch mit Empathie zu tun.
Die richtige Balance zwischen Schutz vor Covid19 und dem Wohl und der psychosozialen Gesundheit unserer KlientInnen zu finden, ist eine große Herausforderung.
Der ehemalige Leiter der Caritas Österreich Dr. Franz Küberl hat einmal gesagt: „Man kann nicht allen helfen, aber jede/r kann jemandem helfen“. – Wie schätzen Sie die allgemeine Bereitschaft zum Helfen ein?
Hoch. Ich denke, für so gut wie jeden Menschen ist es wichtig, anderen zu helfen. Wir fühlen uns in der Regel gut und stark, wenn wir anderen helfen. Die Frage ist natürlich, wie weit diese Hilfsbereitschaft reicht, wen sie umfasst – theologisch gefragt: „Wer ist mein Nächster?“ Da sehe ich das Problem, dass sich die Hilfsbereitschaft mitunter auf die „eigenen Leut“ beschränkt.
Viel geringer als die Bereitschaft zum Helfen ist die Bereitschaft, sich helfen zu lassen. Da liegt noch ein Stück Weges vor uns, bis wir als Gesellschaft verstanden haben, dass es normal und keine Schande ist, Hilfe zu brauchen.
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Das Interview wurde erstveröffentlicht in: Zeitschrift für Integrative Gestaltpädagogik und Seelsorge, ISSN 1991-7635, 25. Jg. (2020) Nr. 97, S. 56 - 57. - (hier von der Blogredaktion leicht gekürzt)