Ein „Safe Space" in Krisen: die Frauenberatungsstelle der Diakonie
- Story
Frauen beraten Frauen
In der Nobilegasse im 15. Bezirk hat der Diakonie Flüchtlingsdienst eine Einrichtung speziell für Frauen geschaffen. Es ist ein „Safe Space“, wo Männer keinen Zutritt haben und Platz für höchstpersönliche und sensible Themen ist.
Als wir hinkommen, warten beim Eingang bereits viele Frauen samt Babys im Tragetuch sowie Kleinkinder im Buggy bis die Beratungsstelle offiziell ihre Pforten öffnet. Söhne dürfen nur bis zum Alter von 14 Jahrne mit hinein. Vor der Türe ist eine Kamera angebracht, die den Eingang überwacht. Die Frauen, die hier Hilfe suchen, sollen sich sicher fühlen.
Die Nachfrage ist groß, die Themen sind dringend: es geht um Anträge für Kindergeld, Sozialleistungen, Scheidungsverfahren, Schulplätze, Bewerbungsgespräche - und oft um Gewalt. Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen, der jährlich am 25.11. weltweit begangen wird, wollen wir dieses Thema verstärkt in die Öffentlichkeit rücken. Auch die Kollegin, die vor zwei Jahren aufgrund ihrer Unterstützung einer gewaltbetroffenen Freundin – ebenso wie ihre Freundin – von deren Ex-Partner ermordet wurde, sind nicht vergessen.
Am häufigsten erleben Frauen Gewalt in ihrer Familie: Laut polizeilichen Schätzungen werden 90 % aller Gewalttaten in der Familie oder im sozialen Nahraum (durch Verwandte, Freunde, Bekannte) ausgeübt. Jede 3. Frau ab 15 Jahren ist einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen. Gewalt kann sehr unterschiedliche Formen annehmen: Sie kann psychischer, körperlicher oder sexueller Natur sein und sowohl auf finanzieller, ökonomischer als auch auf sozialer Ebene vorkommen.
Gewalt in der Familie kann alle betreffen, unabhängig von Religion, Herkunft oder Bildungshintergrund.
Silvia M. von der Frauenberatung, die wir hier für ein Interview treffen, berichtet: „Gewalt kommt in allen Gesellschaftsschichten vor, bei Österreicher:innen genauso wie bei Migrant:innen. Doch die Frauen, die in die Beratungsstelle der Diakonie kommen, haben weit mehr Hürden zu bewältigen, wie beispielsweise Sprachbarrieren, kein Auffangnetz durch die Ursprungsfamilie, kein eigenes Geld, keine Ausbildung etc.“, berichtet die Beraterin.
Silvia arbeitet hier in der Rechts- und Gewaltschutzberatung: „Wir helfen den Frauen Betretungs- und Annäherungsverbote durchzusetzten, erstatten mit ihnen gemeinsam Anzeige und begleiten sie fallweise zur Polizei. Eine Anzeige zu machen dauert mit einer Dolmetscherin oft mehrere Stunden. Wichtig für die Behörden ist eine ganz klare Formulierung, man muss die „hard facts“ filtern und es muss die erlittene Gewalt eindeutig und verständlich geschildert werden. Viele unserer Klientinnen können das allein wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht oder haben schlechte Erfahrungen mit der Polizei“, berichtet Silvia.
Die meisten Frauen kommen aus Afghanistan, Iran, Irak, Syrien oder Somalia, deshalb wird hier mehrsprachige, dolmetschgestützte Sozial- und Rechtsberatung für geflüchtete Frauen angeboten. Silvia ist Juristin und hat beruflich bereits viel Erfahrung mit Opfern von Gewalt. Bevor sie zur Diakonie kam, war sie lange bei einer Gewaltschutzeinrichtung als Beraterin tätig.
Seit 2022 gibt es auch hier in der Nobilegasse ein eigenständiges Angebot dafür. Davor wurde diese Thematik von den Kolleginnen „mitgemacht“ oder an diverse Einrichtungen, wie beispielsweise an Frauenhäuser, weitergeleitet. „Doch manchmal muss es schnell gehen“, berichtet sie aus ihrem Arbeitsalltag: Es gibt immer wieder Klientinnen, die mit einer akuten Verletzung kommen oder von Morddrohung betroffen sind“, erzählt Silvia. „Zuletzt war eine afghanische Frau mit ihrem 10-jährigen Sohn hier. Der Bub wurde vom Vater gewürgt und auch die Mutter war von häuslicher Gewalt betroffen. Sie ist zur Polizei gegangen, um Anzeige zu erstatten, doch man hat der Frau mangels entsprechender Deutschkenntnisse nur einen Folder von der Interventionsstelle gegeben. Dort ist sie aber nie erschienen: der Folder war auf Deutsch. Durch den Hinweis einer Freundin kam die Frau dann zu uns in die Gewaltschutzberatung. Sie hatte sichtbare Verletzungen im Gesicht und am Körper, ihr Mann hat sie erneut geschlagen. Ich war dann mit der Klientin bei der Polizei und gemeinsam konnten wir ein Betretungsverbot gegen den Ehemann erreichen. Die Mutter fand mit ihrem Kind Schutz im Frauenhaus“, erinnert sich Silvia.
„Das ist nur eine von vielen traurigen Geschichten, die sich regelmäßig bei uns abspielen. Wenn wir Glück haben, kommen die Klientinnen nach aktuen Gewalterfahrungen zu uns und bitten um Hilfe, doch das ist nicht immer so. Denn das ganze Thema ist mit großer Scham behaftet. Manchmal kommen die Gewalterlebnisse erst über Umwege heraus, zum Beispiel im Zuge anderer Beratungen“, weiß die Gewaltschutzberaterin.
„Es ist sehr schwierig aus Gewaltbeziehungen herauszufinden“, sagt Silvia. „Oft beteuert der Täter, dass es ihm leid tue und es nie wieder vorkomme. Dabei geraten viele Frauen in eine Gewaltspirale und hoffen bis zuletzt, dass das gewalttätige Verhalten des Mannes nur eine Ausnahme war. Doch aus Erfahrung weiß man: Gewaltbeziehungen werden nicht besser - im Gegenteil, die Gewalt wird häufiger und massiver! Manchmal liebt die Frau den Mann auch
noch irgendwie, sie haben ein gemeinsames Kind und sie ist vor allem strukturell und finanziell von ihm abhängig. Sie ist verunsichert, dass sie abgeschoben werden könne, wenn sie sich trennt, weil der Mann ihr Falschinfos gibt. Opfer von Gewalt werden oft kontrolliert und isoliert. Manche Männer drohen sogar, die Frau umzubringen, wenn sie geht.“
Patriachale Gewalt hat System und endet leider viel zu häufig mit schwerer Gewalt bis hin zu Femiziden.
Die Trennungsphase ist bei Gewaltbeziehungen die gefährlichste für Frauen. Schafft die Frau den Schritt heraus, so muss zuerst ihr Schutz gesichert werden, bevor eine Scheidungsklage eingebracht wird. Bei Scheidungen muss unter anderem geklärt werden: Wo und wie wurde geheiratet und ist die Ehe in Österreich anzuerkennen? Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Auch Zweitehen sind in Österreich nicht rechtsgültig. Davon abhängig, ob die Ehe in Österreich anerkannt wird, kann die Frau dann auch Ehegattenunterhalt geltend machen. Wichtig ist, dass trennungswillige Frauen während des Prozesses auch hinsichtlich ihrer finanziellen Absicherung beraten werden.
„Deshalb ist Aufklärung eines meiner wichtigsten Anliegen bei der Arbeit. Ich möchte, dass jede Frau ihre Rechte kennt, weiß, wohin sie sich wenden kann und dass sie über die verschiedenen Formen von Gewalt bescheid wissen. Ich versuche Frauen zu empowern und sage ihnen: Das ist DEIN Leben, du hast Rechte hier!“, betont die Juristin.
Silvia muss in ihrem Job aushalten, dass die Frauen nicht immer tun, was sie rät. Dafür gibt es viele Gründe, wie wir von ihr erfahren haben. Umso erfreulicher ist es dann, wenn eine Frau, die von Gewalt betroffen ist, dann doch den Mut hat, den Vorfall zu melden und zur Frauenberatung der Diakonie kommt. „Gerade war wieder eine Frau bei mir, die schon öfters von ihrem Mann geschlagen wurde. Nach meheren Beratungen hat sie nach einem erneuten Vorfall dann doch entschieden die Polizei zu rufen. Es wurde ein Betretungs- und Annäherungsverbot ausgesprochen und die Klientin konnte danach gerichtlich eine einstweilige Verfügung erwirken . Das sind ganz wichtige Schritte in die richtige Richtung. Diese Erfolge motivieren mich in meiner Arbeit“, erzählt uns Silvia.
(Text: Heidrun Henke)
Orange the World
Derzeit läuft eine 16-tägige Kampagne, mit der weltweit ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen gesetzt wird. Der Zeitraum umfasst den internationalen Gedenktag für Frauen und Mädchen, die Opfer von Gewalt wurden und endet am internationalen Tag der Menschenrechte, dem 10. Dezember. Auch wir nutzen den Anlass, um auf unsere Frauenberatungsstelle und deren immens wichtige Arbeit zu verweisen. Wir wollen damit das Ausmaß sowie die verschiedenen Ausprägungen von Gewalt thematisieren und Bewußtsein dafür schaffen, dass Gewalt gegen Frauen eine Menschenrechtsverletzung ist.
„Ma(n) kann Gewalt an Frauen beenden“ ist das diesjährige Motto der Kampagne.
Gewalt in der Familie
Das Thema Gewalt in der Familie betrifft Menschen aller Altersstufen, unabhängig von Religion, Staatsangehörigkeit oder Bildungshintergrund. In Familien und Beziehungen kommt Gewalt in vielen Formen vor. Fast immer sind Frauen und Kinder die Opfer.
Unter Gewalt ist jede Form von Machtausübung, Machtmissbrauch, Verletzung oder Zwang zu verstehen. Das beinhaltet nicht nur körperliche und sexuelle Angriffe, sondern auch Psychoterror, Erniedrigung, Verbote und Isolation.
Frauenberatungsstelle des Diakonie Flüchtlingsdienstes
Frauen beraten Frauen. Die Frauenberatung der Diakonie leistet mehrsprachige und kostenlose Sozialberatung für geflüchtete Frauen. Ziel ist es, dass sie eigenverantwortlich Entscheidungen treffen. Sozialmedizinische Beratung, Begleitung zu Behörden und Beratung für gewaltbetroffene Frauen.