Ein Haus auf Stein

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23. November 2018
Die Gnade Jesu Christi sei mit uns, die Liebe Gottes öffne unsere Herzen und der Heilige Geist berühre unsere Ohren, sodass wir das Evangelium hören können!

Liebe Festgemeinde,

hinter dem Ende der befahrbaren Straße, fast zwei Stunden Fußmarsch auf einem schlammigen Weg den Berg hinauf, liegt Sito Inu’olangohan. 36 Familien wohnen hier.

2014 habe ich das kleine Dorf auf der philippinischen Insel Leyte besucht – bei einer Reise mit unserer Diakonie Katastrophenhilfe. Sechs Monate, nachdem der Taifun Haiyan mit bis zu 380 km/h über die Insel hinweg gefegt ist. Eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes: 4,3 Millionen Menschen obdachlos. 20.000 Todesopfer.

Auch Sito Inu’olangohan hat es hart getroffen – aber es gab keine Todesopfer.

Weil die Diakonie Katastrophenhilfe schon vor der Katastrophe im Dorf tätig geworden ist und mit den Menschen ein Katastrophenschutzprogramm geplant hat.

Katastrophenvorsorge

Herzstück des Plans sind fünf Komitees:

  • Die Vertreter des Bildungs-Komitees sorgen dafür, dass alle den Evakuierungsplan kennen. Sie sind auch beim Transistor-Radio gesessen und haben die Sturmwarnungen verfolgt.
  • Das Essens-Komitee hat gekocht und das Essen zum Evakuierungsort gebracht.
  • Das Gesundheits-Komitee hat sich um die Kranken gekümmert.
  • Das Sicherheits-Komitee hat dafür gesorgt, dass alle evakuiert werden, zuerst die Alten und die Kinder. Es hat dafür gesorgt, dass niemand vergessen wird. Eine wichtige Frage war: Wohin soll man sich flüchten im Katastrophenfall?
  • Das Evakuierungs-Komitee hat verschiedene Möglichkeiten überprüft. Meistens flüchtet man sich in die Schule.

Aber die Menschen in Sito Inu’olangohan haben bei ihren Analysen festgestellt haben, dass die Schule nicht fest genug gebaut ist. Und dass sie nicht auf festem Grund gebaut ist, sie steht auf einem Hang, der abrutschen könnte. Sie hatten Recht. Haiyan hat die Schule weggeblasen.

150 Menschen auf 40m2

Die Wahl des Evakuierungs-Komitees fiel auf das Haus von Federico Arias. Es ist fest gebaut und steht relativ windgeschützt. Mehr als 150 Leute haben in Federicos Haus auf ca. 40 m2 ausgeharrt und gewartet, dass der Sturm vorbei geht. Das Haus war so vollgestopft mit Leuten, dass viele stehen mussten. Nur die Alten und die Kinder konnten sitzen.

Federico erzählt über diese Nacht

„Um Mitternacht waren alle im Haus. Wir haben Reissuppe gegessen und Kaffee getrunken. Um 3.00 in der Früh ist es so richtig losgegangen. Wir haben gebetet. Ich habe gebetet, dass Gott alle rettet, dass niemand stirbt.

Das Haus hat entsetzlich gewackelt im Wind. Aber ich hatte das Gefühl, dass das Haus stärker geworden ist durch die vielen Leuten herinnen. Gott wollte, dass mein Haus viele Menschen beschützt.“

Ein Haus, das hält und schützt

Ein Haus, das Wind und Wasser trotzen kann – das hat auch Christoph Eder gemalt, sie finden es auf Ihren Liedblättern und es steht auch im Original hier vorne. Christoph Eder ist ein Künstler mit Behinderung, der im Atelier der Diakonie de La Tour in Kärtnen arbeitet, meine Lieblingskünstler.

Ich hab mir für meine Amteinführung ein Bild von ihm gewünscht und ich freue mich sehr, dass er eins extra für mich und für heute gemalt hat. „Ein Haus auf Stein“ heißt das Kunstwerk, und es setzt den Predigttext aus dem Matthäus-Evangelium, den ich mir für diesen Gottesdienst ausgesucht habe, ins Bild.

Am Ende der Bergpredigt erzählt Jesus seinen Hörerinnen und Hörerinnen folgende Parabel – hören wir aus dem Matthäus-Evangelium:

Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet.

Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.

Zwei Lebensgeschichten stellt Jesus in dieser kurzen Rede einander gegenüber: die eines Mannes/oder einer Frau, die ihr Haus auf Fels baut – und die einer Frau, die ihr Haus auf Sand baut.

Krise als Testfall

In rasend schnellem Tempo werden die Geschichten erzählt – vom Hausbau bis zum Einsturz in einer halben Minute.

Dazwischen wird sehr ausführlich die Katastrophe geschildert: „als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus“ ... Erst in dieser Krise – im Sturm, der an ihren Festen rüttelt – wird die unterschiedliche Qualität der Häuser deutlich.

Hören und Handeln

Die Gegenüberstellung steuert auf eine Entscheidung zu: Wer diese meine Rede hört und tut sie – oder: wer diese meine Rede hört und tut sie nicht. Es geht um das Verhältnis von Hören und Handeln.

Im Handeln erweist sich, ob Jesu Wort beim einen Ohr rein und beim anderen Ohr raus gegangen ist – oder ob wir es wirklich gehört haben.

Wenn wir Jesu Wort hören und es tun, dann bauen wir unser Haus auf Fels, dann geben dem Haus ein festes Fundament, das auch bei Wind und Wetter, das durch die Stürme des Lebens trägt.

TäterInnen des Worts

Nicht nur Hörer und Hörerinnen, sondern auch Täter und Täterinnen des Wort zu sein – das ist der Anspruch, mit dem Jesus seine Hörer und Hörerinnen damals und uns heute konfrontiert.

Die evangelischen Kirchen folgen diesem Anspruch durch ihren diakonischen Einsatz. Die Diakonie – ob in Werken und Einrichtungen gelebt oder in Pfarrgemeinden  – die Diakonie ist Täterin des Wortes. Diakonie ist tätige Verkündigung.

  • Auch wenn der Platzregen der politischen Debatten über uns hereinbricht – und Flüchtlinge als Bedrohung verunglimpft werden, oder Familien, die wissen, wie die Armut schmeckt, und Unterstützung brauchen, als Sozialschmarotzer beschimpft werden
  • auch wenn die Wasser der Sparmaßnahmen kommen und die Erfolge von guten Betreuungskonzepten und Inklusion in der Arbeit mit Menschen, die mit einer Behinderung leben, hinwegschwemmen
  • auch wenn die Winde wehen und am Haus der Rechtsstaatlichkeit rütteln und beschlossen wird, dass künftig die bislang von Nichtregierungsorganisationen geleistete unabhängige Rechtsvertretung von Menschen im Asylverfahren vom Innenministerium übernommen werden soll
  • auch wenn sich politische und moralische Haltungen rechts und links von uns verschieben –

Als Diakonie stehen wir fest auf dem Boden des Evangeliums und tun das, was wir immer getan haben:

Menschen ein Leben in Fülle ermöglichen, indem wir sie dabei begleiten, ihre Gaben wachsen zu lassen, und uns für Rahmenbedingungen stark machen, diese Gaben auch einsetzen zu können.

Wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann/Frau, der sein Haus auf Fels baute.

Federico Arias Haus war auf festem Grund gebaut. Und er hat sein Haus geöffnet für mehr als 150 Menschen – auf 40m2.

Man würde ja erwarten, dass er nach 30 oder 50 oder 100 Leuten gefunden hätte: Das Haus ist voll.

Und dass er sich sorgt, dass so viele Leute sein Haus kaputt machen könnten. Aber Federico sagt: Das Haus ist stärker durch die vielen Leuten herinnen.

Liebe Festgemeinde, das erleben wir auch in der Diakonie:

Nicht nur die vielen Leute, die sich in der Diakonie engagieren, machen unser Haus stark. Auch die vielen Leute, für die wir da sind, machen unser Haus, die Diakonie, stark:

  • Kinder und Jugendliche, die gute Bildung brauchen
  • Kinder und Jugendliche, die aus verschiedenen Gründen nicht bei ihren Familien leben können
  • junge Familien, die überfordert und sozial isoliert sind
  • Menschen mit Armutserfahrungen, die eine warme Mahlzeit oder ein Dach über dem Kopf brauchen
  • Menschen in anderen Ländern, die mit Armut oder Katastrophen zurecht kommen müssen
  • Menschen mit Behinderung, die Unterstützung brauchen, damit sie ihr selbstständig leben können und Wertschätzung erfahren
  • alte Menschen, die Pflege brauchen
  • Kranke mit und ohne e-Card, die ÄrztInnen brauchen
  • Menschen auf der Flucht

Es ist die Vielfalt unserer Arbeitsbereiche, die uns stark macht als Diakonie. Alle haben Platz im Haus der Diakonie, niemand soll ausgeschlossen sein oder verloren gehen. Indem wir dafür Sorge tragen, tragen wir auch dazu bei, dass unsere Gesellschaft stärker wird.

Alle sind Eingeladene Jesu Christi

„Dabei geht es nicht darum“ wie es unserer Standortbestimmung, den Grundsätzen von Diakonie und Kirche, heißt, „Dabei geht es nicht darum, dass christliche Gemeinschaft sich als Sammlung der Starken begreift, die Schwache zu integrieren habe, vielmehr sind alle Eingeladene Jesu Christi, der alle zu sich ruft: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will Euch erquicken.“

Und mühselig und beladen sind wir wahrlich alle an dem einen oder anderen Punkt unseres Lebens. Alle sind eingeladen. Das macht das Haus der Diakonie stark.

Zuversicht

„Ich hatte das Gefühl, dass das Haus stärker geworden ist durch die vielen Leuten herinnen. Gott wollte, dass mein Haus viele Menschen beschützt.“ Aus Federicos Worten spricht auch ein tiefer Glaube, ein tiefes Gottvertrauen.

Diese „lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade“ von der Martin Luther sagt, dass sie „fröhlich, trotzig und voller Lust gegen Gott und alle Kreaturen” macht. Diese Zuversicht trägt uns. Ganz so, wie wir im Glaubensbekenntnis vorhin gebetet haben:

Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.

Dieses Gottvertrauen beschützt uns.

Es behütet uns davor, in diakonische Selbstüberschätzung zu verfallen, die meint, dass wir alle Probleme aus uns selber heraus lösen können.

Und es behütet uns davor, in einen Aktionismus zu verfallen, in dem uns irgendwann die Kraft ausgeht. Gott wollte, dass mein Haus viele Menschen beschützt.

Liebe Festgemeinde,

dieses Kirch-Gebäude, diese Räume, in denen wir heute beten und feiern, ist ein Haus, das viele Menschen beschützt hat – auch mich, in Tagen, in denen meine Seele sehr unruhig war in mir.

Unruhig die Seele

Im Spätsommer 2015, als die Lebensmittelvorräte in den Flüchtlingslagern des UNHCR so knapp und die Verzweiflung so groß war, dass sich die Menschen zu Fuß auf den Weg nach und durch Europa gemacht haben, war ich auf Urlaub.

Ich habe die Bilder im Fernsehen gesehen. Ich konnte sie kaum ertragen. Und ich habe begonnen, mit Gott zu hadern.

Was mich selbst überrauscht hat. Ich kannte mich selber bis dahin als eine, der ein recht selbstverständliches und unerschütterliches Gottvertrauen geschenkt ist.

Na super, hab ich mir gedacht, jetzt bist du im zweiten Jahr deiner Ausbildung zu Pfarrerin und da erwischt dich eine Theodizee-Krise.

Helfen ist Christusbegegnung

Gleich nach dem Urlaub ist das Predigerseminar losgegangen. Gottesdienstkurs. Eine Woche Homiletik. Auseinandersetzung mit der Kunst, Wort Gottes in der Predigt zu verkünden. Und das mit einer unruhigen Seele. Da half alles Bibellesen und reflektieren nichts.

Beruhigen konnte sich meine Seele erst hier, in diesen Räumen. Superintendent Stefan Schröckenfuchs und seine Gemeinde hatten ein Notquartier für die Menschen auf der Flucht organisiert, und ich habe ein paar Nächte Dienst gemacht.

Und meine Seele ist ruhig geworden. Ich hatte das Gefühl: Ich bin da, wo ich sein soll. Bei Christus.

Das ist das, liebe Festgemeinde, was die Diakonie in ihrer Tiefe ausmacht: „Helfen heißt nicht, sich herabzulassen zu einem Bedürftigen, sondern ist Christusbegegnung.“ Wie es in unserer Standortbestimmung heißt. Christusbegegnung.

Was ihr dem Geringsten meiner Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan. Und was ihr dem Geringsten meiner Brüder und Schwestern nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan.

Hören und Tun

In seinem 1937 erschienen Buch „Nachfolge“ schreibt Dietrich Bonhoeffer dazu:

„Er (Christus) ist den Menschen gleich geworden, damit wir ihm gleich seien. ... Wer sich jetzt am geringsten Menschen vergreift, vergreift sich an Christus, der Menschengestalt angenommen hat und in sich das Ebenbild Gottes für alles, was Menschenantlitz trägt, wiederhergestellt hat.“

Gottes Wort hören und tun und dafür Sorge tragen, dass das Ebenbild Gottes in allem was Menschenantlitz trägt, gesehen und bewahrt wird – in den Kindern und Jugendlichen, in den Armen, den Menschen mit Behinderung, den Geflüchteten, den Pflegebedürftigen – das ist uns als Diakonie aufgetragen.

Und unser Haus der Diakonie wird stärker durch die vielen Menschen drinnen. Gott will, dass unser Haus der Diakonie viele Menschen beschützt.

Und Gott beschützt unser Haus. Amen.

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