Corona: Die körperliche Distanz trifft Menschen mit Demenz stark
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Was bedeutet die Corona-Krise für Menschen mit Demenz?
Das kann ich nicht pauschal beantworten. Aber allgemein gilt: Mit dieser Krise ist plötzlich von einem Tag auf den anderen alles anders. Menschen mit Demenz können aber nicht einfach von einem Tag auf den anderen alles anders machen. Menschen mit Demenz brauchen Strukturen und Routinen, die Sicherheit geben. Eine Krise ist das genaue Gegenteil davon.
Sie leiten die Tagesbetreuung für Menschen mit Demenz im Haus am Ruckerlberg der Diakonie in Graz. Wie hat die Corona-Krise die Demenz-Beratung verändert?
Ganz grundlegend. Wir mussten unser Tageszentrum schließen. Die Gäste müssen nun zu Hause betreut werden. Normalerweise berate ich Angehörige oder auch Menschen, die vielleicht selbst von einer Demenz betroffen sind, bei uns vor Ort. Wir machen auch Beratungen in Cafés zum Thema Demenz, wo wir bei einer Tasse Kaffee locker über das Thema Demenz sprechen. Das geht nicht mehr. Stattdessen bieten wir nun Telefonberatung an.
Wie funktioniert die Telefonberatung?
Es ist wichtig, dass wir Menschen mit ihren Sorgen jetzt nicht alleine lassen. Gesundheits- und Info-Hotlines sind hier ganz wichtig. Auch Telefonseelsorge brauchen wir jetzt. Und für alle, die jetzt bemerken: "Kann es sein, dass mein Partner eine Demenz hat?" oder "Wie kann ich erste Anzeichen einer Demenz erkennen und was soll ich tun?" sind wir da.
Sie sind also erste Anlaufstelle für Menschen mit ihren Fragen rund um Demenz?
Genau. Ich höre zu, helfe mit Informationen und verweise sie auch auf weitere Informationsstellen. Bei uns kann man schon recht früh anrufen – beim ersten nagenden Gedanken, bei der ersten Unsicherheit. Was ich nicht anbieten kann, ist eine Lösung für die grundsätzliche Lage, in der sich nun viele Menschen befinden, die von Demenz betroffen sind.
Inwieweit kann Telefonberatung die persönliche Beratung ersetzen?
Nicht umfassend. Die Beratung ist ja meist nur der erste von vielen Schritten. Viele der Lösungen, die wir sonst haben, kann ich nun in der aktuellen Krise nicht anbieten. Weil die Tagesbetreuung geschlossen ist, weil keine Besuche mehr möglich sind. Dazu muss man verstehen: Menschen mit Demenz brauchen sozialen Kontakt, gemeinsame Tätigkeiten sind wichtig, regelmäßige Besuche in der Tagesbetreuung. Die Tagesbetreuung ist kein Kaffeehaus-Besuch – obwohl die gute und familiäre Atmosphäre bei uns sehr wichtig ist. Hier geht es nicht um Wellness – die Menschen, die hierherkommen, brauchen diese Besuche, damit sie mit der Demenz gut umgehen können.
Das klingt dramatisch
Ist es auch. Gerade das, was für Menschen mit Demenz so wichtig ist, ist nun nicht mehr möglich. Für ein paar Tage geht das. Für einige Wochen vielleicht auch. Aber langfristig wird das eine große Herausforderung – für die Menschen mit Demenz und für ihre Angehörigen.
Auf den Angehörigen lastet nun eine große Verantwortung
Ja, und eine große Anstrengung. Sie müssen jetzt in der Regel 24 Stunden für ihre Angehörigen mit Demenz da sein. Und sie haben natürlich auch selbst Ängste und Sorgen. Viele sind ja auch selbst schon älter.
Was sind die häufigsten Fragen, die Sie jetzt hören?
Eine Frage, die ich immer wieder höre ist: "Darf ich mit meinem Angehörigen, der bei mir wohnt, und Demenz hat, an die frische Luft gehen?" Die Antwort ist ganz klar: Ja, unbedingt! Die gesetzlichen Vorgaben müssen eingehalten werden. Aber hinaus in die Sonne und an die frische Luft zu gehen und sich dabei etwas zu bewegen, ist ganz, ganz wichtig. Was ich auch oft höre, ist: "Was sollen wir denn jetzt den ganzen Tag tun?"
Was antworten Sie auf diese Frage?
Wichtig ist, kleine Tagesstrukturen zu schaffen, dem Menschen mit Demenz einen Rhythmus zu geben. Gleichzeitig ist es aber wichtig, keine allzu starren Regeln vorzugeben. Das bedeutet vor allem: Ermutigen Sie, aber drängen Sie nicht. Geben Sie Zeit. Eines kann man jetzt schwer sagen: Dass wir etwas versäumen. Also: Strukturen schaffen und Zeitdruck rausnehmen!
Erzeugt die Corona-Krise bei Menschen mit Demenz große Angst?
Auch diese Frage kann ich nicht pauschal beantworten. Aber für manche Menschen mit Demenz bedeutet die neue Situation große Unsicherheit. Eine Angehörige hat mir erzählt: "Die Mama war immer schon sehr ängstlich und erinnert sich schon seit einiger Zeit immer wieder an den Krieg. Das hat man sonst im Alltag nicht so gesehen, aber jetzt ist es ganz stark zu spüren." Man sollte sich bewusst sein, dass es jetzt vermehrt Ängste gibt – sichtbar oder weniger sichtbar. Wenn man das berücksichtigt und darüber spricht, ist es meist schon etwas leichter.
Den ganzen Tag zusammen sein, das ist für viele Menschen eine Herausforderung. Was bedeutet es für Angehörige von Menschen mit Demenz?
Keine Frage, es gibt viele Konfliktpunkte. Neue Strukturen, neue Abläufe, das Gefühl, dass plötzlich alles anders ist – all das schafft Unsicherheit. Sowohl bei Menschen mit Demenz, als auch bei den Angehörigen. Ich merke aber auch, dass manche sehr, sehr tapfer sind. Das kann auch gefährlich werden: Angehörige dürfen nicht auf sich selbst vergessen. Ich habe die Telefonseelsorge schon angesprochen. Das ist mir wirklich wichtig: Es ist kein Zeichen von Schwäche, wenn man mit jemandem über seine Sorgen, Ängste und Überforderung spricht. Ich habe aber auch mit einer Angehörigen gesprochen, die meinte: "Es funktioniert viel besser als gedacht!" Auch das gibt es.
Was meinte die Frau damit?
Sie spielt mit ihrer Mutter viel Stadt-Land-Fluss, plaudert viel – und die beiden haben schnell einen guten Rhythmus ohne Druck gefunden. Nach dem Mittagessen gibt es ein Mittagsschläfchen, dann wird Kaffee getrunken, danach gehen sie eine kleine Runde spazieren usw. Es gilt, was wahrscheinlich gerade für uns alle gilt: Was schon immer gut funktioniert hat, funktioniert auch jetzt gut. Wo es schon vorher schwierig war, wird es jetzt in der Krise viel schwieriger.
Was sagen Sie jemandem, der Demenz hat oder der jemanden mit Demenz kennt und jetzt nicht weiterweiß?
Bleiben Sie mit Ihren Fragen nicht alleine! Rufen Sie uns an – wir haben zwar keine Lösung für das grundsätzliche Problem, dass jetzt so viele Tages- und Beratungsstellen geschlossen sind. Aber wir können Tipps für den Alltag geben, wir haben auf viele Fragen eine Antwort. Wir hören zu. Und wir wissen, an wen man sich mit speziellen Fragen wenden kann.
Autor:innen
Lukas Plank BA MA
KommunikationSocial Media & Redaktion