Autistische Schüler sind integrierbar
- Story
Ein Gastbeitrag von Regina Withake, freie Journalistin.
"Es heißt immer, Autisten lassen sich nicht berühren, aber bei meinem Sohn war das nicht so", erzählt Sabine K. Als Kleinkind reihte David stundenlang sein Spielzeug auf. Wenn man ihn dabei unterbrach, flippte er aus und beruhigte sich ewig nicht mehr. Termine verschoben sich, Bekannte mussten warten. Die Familie kam immer weniger aus dem Haus, denn David konnte den Geräuschpegel seiner Umwelt nicht ertragen. Beim Einkaufen brüllte der Bub wie am Spieß, am Spielplatz zwickte David andere Kinder. "Wir wurden immer isolierter, David wurde als unerzogenes Kind beschimpft.", erinnert sich Frau K.
Als der Bub mit zweieinhalb Jahren noch nicht sprach, schickte ihn der Kinderarzt zu einem Hörtest. Drei Monate wartete die Familie in banger Ungewissheit auf die Untersuchung, denn nur wenige Stellen arbeiten mit kleinen Kindern. Das Ergebnis war unauffällig. Plötzlich stand das Wort Autismus im Raum. "Wir waren schockiert, wussten gar nicht, was wir damit anfangen sollen.", erzählt die Mutter. Weitere drei Monate wartete man auf einen Termin in einer Autismusambulanz.
Die Diagnoseerstellung bei Autismus ist sehr schwierig und aufwendig.
"Die Diagnoseerstellung bei Autismus ist sehr schwierig und aufwendig", erklärt Mag. Elisabeth Laggner, Bereichsleiterin Therapie und Beratung beim Diakoniewerk. Die gesamte Untersuchung basiert auf Beobachtungen. Das Diagnoseverfahren beginnt mit einem ausführlichen Fragebogen für die Eltern. Bringt dessen Auswertung ein auffälliges Ergebnis, geht es weiter mit einem Elterninterview. Danach kommt das Kind dran: Der kleine Patient wird in Bereichen wie Verhalten, Spiel, Erkennen von Gefühlen oder Mimik genauestens unter die Lupe genommen. Für die spätere Analyse wird dabei gefilmt. Ein Intelligenztest zeigt, ob das Kind intelektuell beeinträchtigt ist. Oft geht Autismus mit normaler oder besonders hoher Intelligenz einher.
"Die Tests brauchen viel Zeit, da sie sehr sorgfältig gemacht werden müssen. Bis alle Termine absolviert sind, vergeht oft ein halbes Jahr." erzählt Laggner. "Das ist für die Familien sehr anstrengend." Viele haben eine lange Anreise, denn die Diagnosezentren für Oberösterreich befinden sich allesamt im Großraum Linz. An einer Testauswertung sind mehrere Spezialisten beteiligt, es stecken viele Stunden Arbeit drin. Nur Stellen mit einem Gebietskrankenkassen-Vertrag können das machen, wird nach Stunden abgerechnet, explodieren die Kosten.
Nur Stellen mit einem Gebietskrankenkassen-Vertrag können das machen, wird nach Stunden abgerechnet, explodieren die Kosten.
Es ist wichtig, möglichst früh gezielt an den Problemen zu arbeiten. Logopädie, Ergo- und Verhaltenstherapie: Eine weitere Strapaze für die Familien. "Aber es tat gut zu sehen, wie schnell Fortschritte möglich sind.", erzählt Davids Mutter. Die Barmherzigen Brüder in Linz haben ein Angebot für Patienten im Vorschulalter. Beim " Early Start Denver Programm" kommt ein Therapeut zur Familie nach Hause und arbeitet dreimal in der Woche mit dem Kind.
Nebenbei werden die Eltern geschult mit den speziellen Herausforderungen umzugehen. "Leider können wir das nur ein Jahr lang pro Kind anbieten, länger wird es nicht finanziert", erzählt Dipl. Päd. Bernd Mattle, Pädagoge vom Autismuskompetenzzentrum der Barmherzigen Brüder. Schade, denn die Therapieerfolge sind beachtlich, wirken sich positiv auf Sprachentwicklung, Sozialverhalten und das gesamte Familienleben aus.
Während Autisten mit Sprachverzögerung schon im Kleinkindalter diagnostiziert werden können, fällt der leichtere Asperger-Autismus oft erst in der Pubertät massiv auf. Die Teenager ecken durch ihr mangelndes Einfühlungsvermögen mit ihren Mitmenschen an. Nicht jeder hört gern die Wahrheit, besonders wenn sie wenig schmeichelhaft ist. Autisten verstehen nicht, warum jemand beleidigt oder verletzt ist. "Es ist selbst im Erwachsenenalter nicht zu spät für eine Diagnose. Für viele ist es eine Erleichterung zu wissen, warum man schwer Freunde findet oder intensive Sinneseindrücke nicht aushält.", erklärt Laggner. "Und man kann soziale Situationen immer noch üben."
Mit intensiver Vorbereitung gelingt die schulische Integration
Eine große Herausforderung ist die Schulzeit. Frau K. erinnert sich an Davids Einschulung. "Da er laut Diagnose eine normale Intelligenz aufwies, war die Sonderschule für uns kein Thema." Mit der richtigen Begleitung können viele Autisten eine Regelschule besuchen. Mattle erklärt, wie das gelingen kann. "Das wichtigste ist die Vorbereitung des Umfelds. Viele Lehrer sind nicht informiert, wie man ein autistisches Kind in die Klasse integriert."
Noch vor dem ersten Schultag sollte gemeinsam mit Eltern und Lehrern überlegt werden, wie man dem Kind den Schulalltag erleichtern kann. "Meist ist die Pause ein Problem, weil es den autistischen Schülern in der Klasse zu laut ist. Ein Rückzug in einen freien Raum wäre hilfreich.", so Mattle. Auch eine sorgfältige Wahl des Sitzplatzes oder ein Randplatz in der Garderobe reduziert Stress, denn Autisten sind ungern mitten im Gewühl. Eltern und Lehrer sollten in ständigem Austausch sein, damit Probleme schon im Vorfeld abgefangen werden.
Weiters ist eine Schulassistenz ausschlaggebend für eine gelungene Integration.
"Weiters ist eine Schulassistenz ausschlaggebend für eine gelungene Integration.", erklärt Mattle. Diese kann mit dem Kind die Klasse verlassen, wenn es eine Pause braucht oder bei der Verständigung mit den Mitschülern helfen, denn es kommt leicht zu Missverständnissen oder Mobbing. Oft braucht der autistische Schüler zusätzliche Erklärungen, die der Lehrer nicht leisten kann. Eine gut ausgebildete Schulassistentin entlastet den Lehrer und gewährleistet einen ungestörten Unterricht.
Das Autismuskompetenzzentrum der Barmherzigen Brüder in Linz arbeitet mit dem Zentrum für Inklusiv- und Sonderpädagogik (ZIS) in Oberösterreich zusammen. Sowohl für LehrerInnen als auch für SchulassistentInnen werden Ausbildungen zum Thema Autismus angeboten. Auf Wunsch wird beim Übergang von Kindergarten und Schule oder einem Schulwechsel geholfen.
Bei Problemen sollte die Schule sofort das ZIS kontaktieren. "Oft werden wir gerufen, weil ein autistisches Kind nicht mehr in die Schule gehen will. Soweit sollte es gar nicht erst kommen.", erklärt Mattle. Deshalb sind die zwei Mitarbeiter des Autismuskompetenzzentrums im Dauereinsatz. Sie sprechen mit Lehrern, machen Workshops für die MitschülerInnen und überlegen Problemlösungen. "Vom Arbeitsaufwand her könnten wir locker noch drei MitarbeiteInnen brauchen", meint Mattle. Der Erfolg lässt sich sehen: Die Beratung des Umfelds und eine gute Schulassistenz machen in vielen Fällen den Unterschied zwischen Sonderschule und Pflichtschulabschluss.
Und David? Der schließt in Kürze genau mit so einer Unterstützung die Neue Mittelschule mit guten Noten ab und überlegt, eine höhere Schule zu besuchen. Er hat viel dazugelernt, Freunde gefunden und braucht schon lange keine Auszeiten mehr. Denn Autisten entwickeln sich bei guten Bedingungen weiter zu unauffälligeren Schülern. Vielleicht nicht ganz unauffällig, aber doch ein Stück weiter in Richtung Normalität.