Autismus im Alltag - gemeinsam Lernen ist für alle gut!
- Story
Der junge Mann weiß genau, was er will. Auf die Frage, was er eventuell einmal machen wird, antwortet er dezidiert: „Lehrer oder Politiker.“ Nachsatz zum Politiker: „Wie man einen Wahlkampf führt, das habe ich bereits gelernt.“
Und wie! Florian hat bei der Wahl zum Schulsprecher des Evangelischen Realgymnasiums in Wien-Donaustadt einen Erdrutschsieg errungen. Drei von vier MitschülerInnen haben für ihn gestimmt. Dass er einer von geschätzt 80.000 Menschen in Österreich ist, die mit einer Autismus-Diagnose leben, hat bei diesem Votum so gut wie keine Rolle gespielt.
„Die Lehrer und Lehrerinnen meiner Schule haben mich bisher sehr gefördert“, betont er, und erzählt, dass er bereits im Kindergarten immer als Außenseiter galt, und er sich auch selbst immer am Rand der Gruppe sah.
„Die Diagnose war eine Erlösung“
Schon der Schulstart in der Volksschule sei für ihn ein Problem gewesen: „Ich wollte damals nicht einsehen, warum im September etwas Neues starten soll. Ich war fest davon überzeugt: Weder der Kalender noch das Kirchenjahr beginnen im September.“
Seine Mutter, die sich viele Vorwürfe machte, suchte anerkannte Ärzte und Psychologen auf. Doch die Experten waren sich alles andere als einig: Sie werteten Florians Verhaltensauffälligkeit in dieser Reihenfolge als nicht vorhandene Schulreife, als Hyperaktivität und dann als Wahrnehmungsstörung. Erst eine Psychologin der Autistenhilfe stellte ein Asperger-Syndrom fest. Dessen Merkmale sind Schwächen in der sozialen Interaktion sowie stereotypes Verhalten mit eingeschränkten Interessen.
„Das war eine Erlösung“, sagt Florian. „Endlich wusste ich, was mit mir los ist.“ Zuvor hatte er unter seiner Stigmatisierung sehr gelitten.
„Ich bin weder Monk noch Rain Man“
Dass seine Störung nicht früher erkannt wurde, will er den Fachleuten hingegen nicht zum Vorwurf machen: „Das war gar nicht so einfach. Denn ich bin weder Monk noch Rain Man. Es ist eher so, dass ich von beiden Anteile in mir trage.“
Seine LehrerInnen und BegleitlehrerInnen im Evangelischen Gymnasium Donaustadt der Diakonie in Wien haben ihn bei seiner Persönlichkeitsentwicklung immer unterstützt, sagt er. „Von Anfang an haben sie mich mit meinen besonderen Bedürfnissen ernst genommen.“
Der kritische Geist spricht selbstbewusst von einem Geben und Nehmen: „An unserer Schule unterrichten viele jüngere, sehr aufgeschlossene Lehrer. Und ich darf sagen, dass einige auch schon von mir etwas gelernt haben.“
Florian wünscht sich, dass das Beispiel seiner Schule Schule macht. Und dass man Autismus nicht mehr als Schimpfwort verwendet. Menschen, für die sich ein sanftes Klopfen bereits wie ein Presslufthammer anfühlt oder für die ein Telefonat zur größten Herausforderung des Tages werden kann, „verdienen einfach mehr Respekt“.
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*Dieser Text von Uwe Mauch (hier von der Redaktion gekürzt) erschien in der Tageszeitung Kurier am 30. März 2018 anlässlich des Welt-Autismus-Tages