Autismus: "Ich komme gut damit klar, aber die anderen manchmal nicht"

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23. März 2021
Wie Justus (10) und Erich (16) die Welt anders wahrnehmen - und warum das okay ist

Zum Interview kommt Justus (10) mit einem selbstgebastelten Aktenkoffer aus Karton. Ein gebasteltes Handy hat er auch dabei und einen Laptop ebenfalls. "Vielleicht werde ich später einmal Anwalt", sagt Justus. "Oder ich baue ein Psychologie-Zentrum auf. Das lasse ich mir noch offen." Fest steht aber: "Ich möchte gut in meinem Beruf sein und der Menschheit helfen."

Justus kann vieles ziemlich gut und eines ganz besonders: "Probleme lösen!" Mathe, Biologie, Geschichte - der Schulstoff war für ihn nie eine große Herausforderung, im Gegenteil. Früher, erzählt er, war ihm in der Schule oft langweilig. "Da hab ich dann nicht gut mitgemacht." Und manchmal ist er früher wütend geworden. Zum Beispiel, wenn ihn jemand geschubst oder am Arm gezerrt hat. "Wenn ich wütend bin, mache ich manchmal Dinge kaputt. Aber dann tut es mir leid."

Manches kann Justus nicht so gut, zum Beispiel in der Pause spontan neue Freundschaften knüpfen. Justus ist Asperger-Autist (mehr über Autismus). "Justus sind andere Menschen sehr wichtig, aber es ist schwierig für ihn, es zu zeigen", sagt seine Mutter Gudrun Senk. Als Justus an seine neue Schule gekommen ist, hat er sich anfangs "ein bisschen Sorgen gemacht", erzählt er. "Aber ich habe eine Zeitung gebastelt und die habe ich an meine Mitschülerinnen und Mitschüler verteilt. In der ganzen Schule! So haben mich alle kennengelernt." Justus kommuniziert anders. "Im Pausenraum ein Gespräch eröffnen, das kann Justus nicht so gut. Dafür kann er eine Zeitung schreiben und verteilen und so in Kontakt kommen", sagt seine Mama.

Anders in Beziehung treten

Als Justus seine Zeitung in der ganzen Schule verteilte, hörte er nicht "Was tust du da? Geh in deine Klasse!'" Wenn es ihm zu laut wird, weiß er: Es gibt Schallschluck-Kopfhörer, die er aufsetzen kann. Hier ist es in Ordnung, wenn er manches anders macht. Hier sieht er: Jeder und jede hat andere Stärken und Herausforderungen. Hier hat er seine beiden besten Freunde gefunden. Und wenn er mit einem selbstgebastelten Aktenkoffer aus Karton in die Klasse kommt, ist das auch in Ordnung. "Justus bekommt hier, was er braucht, um er sein zu können", sagt seine Mama Gudrun Senk.

"Wir wissen heute viel mehr über das Autismus-Spektrum als noch vor ein paar Jahren“, sagt Sonderpädagoge und Autismus-Experte Dominik Alturban vom ERG Donaustadt, einer inklusiven Schule der Diakonie. Trotzdem fehle im Schulwesen oft das Verständnis dafür, was Inklusion im Schulalltag bedeutet. "Wenn eine Schülerin im Autismus-Spektrum eine Schularbeit schreibt und dafür mehr Zeit bekommt, weil sie die auch braucht, oder die Arbeit in einem eigenen Raum schreiben darf, um störende Nebengeräusche auszublenden zu können, heißt es auch heute noch oft: Das ist ungerecht", so Alturban. "Dabei ist es genau anders herum: Es geht darum, Ungleichheiten auszugleichen und mit derartigen Maßnahmen Chancengleichheit herzustellen. Bei einem Schüler mit einer Sehschwäche ist es ja auch selbstverständlich, dass er eine Brille tragen darf und nicht ungerecht. Diese Selbstverständlichkeit muss auch beim Autismus-Spektrum auf lange Sicht das Ziel sein." Der Pädagoge kritisiert neben fehlendem Verständnis auch, dass es vor allem für Jugendliche im Autismus-Spektrum sehr wenige Angebote gibt. "Inklusion in der Schule endet häufig bei der Oberstufe oder allerspätestens danach. Auf der Uni nimmt aber dann niemand mehr Rücksicht. Wir müssen endlich weiterdenken", so Domink Alturban.

Die Welt anders wahrnehmen

"Wenn ich 'Krankheit' höre, denke ich an Krankenhaus und Corona", sagt Erich (16). "Autismus ist keine Krankheit. Nicht alle Menschen sind gleich. Autismus-Spektrum bedeutet, dass man die Welt anders wahrnimmt. Ich kann zum Beispiel manche meiner Gedanken sehen, wie ein Hologramm." Erich kennt sich sehr gut mit öffentlichen Verkehrsnetzen aus. "Und ich habe ein sehr gutes Ohr für Geräusche. Menschlichen Lärm mag ich nicht. Ich komme gut damit klar, aber die anderen manchmal nicht."

In seiner alten Schule wurde Erich gemobbt, erzählt er. "Das war eine echt heftige Zeit." Jetzt geht er wie Justus in eine inklusive Schule der Diakonie. Sein Schulalltag ist jetzt angenehmer, ruhiger und weniger stressig. "Hier verstehen mich die anderen."

Wenn es ihm jetzt in der Schule zu laut wird, kann er die Klasse einfach kurz verlassen. "Und wenn ich Fehler mache, schreie ich nicht mehr." Mobbing gehöre nun der Vergangenheit an. "Jetzt bin ich Vizeklassensprecher."

Es ist gut, dass nicht alle gleich sind

"Es müssen nicht alle Menschen gleich ticken", sagt Justus' Mama Gudrun. "Wenn wir alle gleich haben wollen, verlieren wir wertvolle Talente und Potentiale. "Aber die Akzeptanz dafür ist immer noch selten. Es gibt in Österreich erst eine Handvoll Schulen, die für junge Menschen im Autismus-Spektrum gut geeignet sind und an denen Inklusion gelebt wird." Für Gudrun und viele andere Eltern bedeutet das: Eine lange Suche nach der richtigen Schule, nach Unterstützung im Alltag und nach Informationen, die ein wenig weiterhelfen. "Kinder wie Justus haben so viele Potentiale, wenn man sie richtig fördert, wenn sie einfach ihren Weg gehen können, können sie einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft bringen", sagt Gudrun Senk. "Inklusion muss uns auch etwas wert sein."
 

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