Ich habe meine eigene Stimme schon immer gehört. In meinem Kopf
- Pressemitteilung
In Österreich leben etwa 63.000 Personen, die in ihrer Lautsprache eingeschränkt sind. Um zu kommunizieren, brauchen sie Hilfsmittel, die passgenau auf sie zugeschnitten sind.
Anlässlich des Internationalen Tags der Menschen mit Behinderung am 3.12. zeigen Diakonie und VERBUND Lücken und Probleme beim Zugang zu Unterstützter Kommunikation und Assistierenden Technologien auf.
Katharina (12) erobert mit der Augensteuerung die Welt
Die 12jährige Katharina Panholzer nutzt seit dem Kindergarten eine sogenannte Augensteuerung für den PC sowie ein Sprachausgabeprogramm. Damit hat die 12-Jährige nicht nur das Sprechen sowie Lesen, Schreiben und Rechnen erlernt; mit der Augensteuerung kann sie ihren Interessen nachgehen.
„Wenn mich irgendetwas besonders interessiert, dann schaue ich, ob ich dazu im Internet was finde. Ich interessiere mich sehr für Pferde. Einmal in der Woche gehe ich reiten. Mit dem Tablet kann ich auch ganz allein Musik hören, Videos schauen und Bücher über die Kindle App lesen – sonst müsste mir immer jemand das Buch halten und umblättern. Und Whatsapp auf meinem Handy nutzen.“, erzählt Katharina Panholzer bei einer Pressekonferenz mit Hilfe ihrer Computerstimme.
„Als ich einmal zu Katharina sagte, dass sie eigentlich erst ab der dritten Volksschule – als sie sehr gut Lesen und Schreiben konnte – so richtig sprechen gelernt hat, meinte sie: Aber das konnte ich schon vorher. Ich höre meine Stimme schon immer. In meinem Kopf!“, erzählt Nina Panholzer, die ihre Tochter nach Wien begleitet hat. „So fühlt sich das für Menschen ohne Lautsprache an, die ohne technische Hilfsmittel kaum Möglichkeiten zur Kommunikation und Teilhabe haben. Unvorstellbar eigentlich.“
Gute Versorgung mit Unterstützter Kommunikation ist unerlässlich
„Anlässlich des Tags der Menschen mit Behinderungen machen wir einmal mehr darauf aufmerksam, welchen Unterschied das richtige Hilfsmittel im Leben einer Person mit Behinderungen machen kann. Gerade Beispiele wie Kathi zeigen uns, welche Möglichkeiten assistierende Technologien bieten und warum eine gute Versorgung mit Hilfsmitteln unerlässlich ist", so Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. „Denn Technik macht gerade für Menschen mit Einschränkungen der Lautsprache ein selbstbestimmtes Leben möglich."
VERBUND fordert: Behörden-Dschungel muss abgebaut werden
„Der Weg zum passenden Hilfsmittel ist in Österreich kompliziert, unübersichtlich und langwierig", kritisiert die Diakonie-Direktorin. Bei der Antragsstellung seien viele Stellen auf Landes- und Bundesebene beteiligt. Für die Betroffenen dränge allerdings oft die Zeit, zum Beispiel bei Krankheiten mit fortschreitenden Symptomen.
„Kinder brauchen die Hilfsmittel, um sprechen zu lernen, auch hier ist der Zeitfaktor essentiell. Jeder Tag, den sie warten müssen, ist einer zu viel", hält auch Michael Strugl, Vorsitzender des Vorstands der VERBUND AG fest. „Langzeitziel des VERBUND-Empowerment Fund der Diakonie ist die Etablierung eines Rechtsanspruchs auf die Finanzierung assistierender Technologien für Menschen mit Behinderungen", betont Strugl.
„Ein Rechtsanspruch muss neben der Finanzierung des Hilfsmittels selbst auch zentrale Anlaufstellen in allen Bundesländern, wo die Beantragung und Genehmigung rasch und unbürokratisch abgewickelt werden kann, sowie Beratung, damit die Betroffene zu dem für sie passenden Hilfsmittel kommen und es auch anwenden lernen, umfassen."
Finanzierung von Hilfsmitteln ist Aufgabe der öffentlichen Hand
Heuer wurde die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich vom UN-Fachausschuss in Genf überprüft. Das Ergebnis war mangelhaft. Ein zentraler Kritikpunkt bei der Überprüfung waren fehlende Teilhabechancen für Menschen mit Behinderungen.
Genau darauf ziele auch die Forderung des Rechts auf Kommunikation ab, so Moser: „Es geht um das Recht, die nötigen technischen Hilfsmittel zu bekommen, um kommunizieren zu können.“ Zur Umsetzung dieses Rechtsanspruchs sei man an den Sozial- und Gesundheitsminister mit dem Vorschlag einer Drittelfinanzierung herangetreten:
„Zur transparenten und bundesweit einheitlichen Finanzierung der Hilfsmittel für Unterstütze Kommunikation könnte ein Fonds eingerichtet werden, der von Bund, Ländern und Sozialversicherungen getragen wird. Der Gesundheitsminister hat sich diesem Vorschlag gegenüber offen und interessiert gezeigt. Wir hoffen, dass er auch die Länder dafür gewinnen kann, es ist höchste Zeit, dass sich hier etwas tut“, betont Moser.
Spenden stopfen Versorgungslücke
Die Versorgungslücke, die der Sozialstaat hier offenlässt, muss derzeit mithilfe von Spenden geschlossen werden. So unterstützt der VERBUND-Empowerment Fund der Diakonie seit 2009 die individuelle Beratung von rund 6.000 Menschen mit Behinderungen zu Möglichkeiten Unterstützter Kommunikation und Assistierender Technologien.
Knapp 12.000 Pädagog:innen, Therapeut:innen und Angehörige wurden in über 1.000 Workshops und Seminaren sensibilisiert und informiert. Außerdem wird mit dem Fonds die Frühförderung bei Kindern unterstützt und Soforthilfe bei der Anschaffung assistierender Technologien geleistet.
Wie viele Menschen in Österreich betrifft das?
Etwa 63.000 Personen leben in Österreich mit Sprachbehinderungen (inkl. der Angehörigen rund 250.000). Damit diese Personen ihr Recht auf Kommunikation ausüben und möglichst selbstbestimmt leben können, brauchen sie unterschiedliche assistierende Hilfsmittel:
- einfache elektronische Hilfsmittel (wie Taster) oder auch nicht-elektronische Hilfsmittel
- komplexe elektronische Kommunikationsgeräte (wie Augensteuerung)
- Hilfsmittel für den Zugang zum Computer (Mundmaus, Halterungen)
- Spezialsoftware (z.B. zur Sprachausgabe)