Haben alle Kinder die gleichen Bildungschancen?
- Kommentar
Bildung ist ein wichtiger Hebel für Aufstiegschancen und eine wichtige Voraussetzung, um später am Arbeitsmarkt reüssieren und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Gerade den Kindern, für die Chancen durch Bildung besonders wichtig sind, um gut Fuß fassen zu können, werden Chancen auf Bildung vorenthalten.
Kinder mit Behinderungen
Kinder mit Behinderungen sind von verpflichtenden Kindergartenjahr „befreit“. Eigentlich befreit sich damit der Staat von der Pflicht, geeignete Plätze zur Verfügung zu stellen (alleine in Wien haben über 1.000 Kinder mit einer Diagnose keinen Kindergartenplatz). Genau die Kinder, die mehr Zeit zum Lernen brauchen würden, bekommen weniger Zeit: Für Kinder mit Behinderungen endet das Recht auf Schulbildung mit der Schulpflicht, ein Rechtsanspruch auf ein 11. und 12. Schuljahr fehlt. Im Regierungsprogramm ist dies nun vorgesehen, was die Diakonie sehr begrüßt. Entscheidend wird sein, dass dies ersten rasch umgesetzt wird und dass zweitens Kinder mit Behinderungen im 11. und 12. Schuljahr auch inklusiv beschult werden. Generell vermissen wir im Regierungsprogramm ein klares Bekenntnis zu inklusiver Bildung und dazu, dass Ressourcen in die Inklusion statt in den Erhalt und Ausbau des Sonderschulwesens fließen.
Vererbung von Bildungschancen
Bildungschancen werden vererbt. Der soziale Status der Eltern hat nach wie vor einen großen Einfluss auf den Bildungserfolg der Kinder. So haben nur 6 von 100 Kindern, die eine AHS oder BHS abschließen, Eltern mit ledligch einem Pflichtschulabschluss. Bereits in der 4. Schulstufe zeigen sich Lernrückstände von Kindern von Eltern mit einem niedrigen Schulabschluss von 21,7 Schulmonaten im Vergleich zu Kindern von Eltern mit Matura. Die Gründe dafür sind vielfältig und hängen zusammen: Schulen an benachteiligten Standorten sind oft schlecht ausgestattet, was sich auswirkt auf die Bildungschancen der Kinder, die in überbelegten Wohnung leben und keinen ruhigen Platz zum Lernen haben, was wiederum zusammenfällt mit einer Halbtagsschulordnung und einem einkalkulierten Nachhilfesystem, das auf wenig Einkommen trifft bzw. bei geringer Bildung der Eltern auf weniger Möglichkeiten, die Kinder beim Lernen zu unterstützen. Dazu kommen negative Vorurteile: Wem nichts zugetraut wird bzw. von wem erwartet wird, dass er oder sie ohnedies nichts schafft, der oder die bringt schlechtere Leistungen. Die Forschung spricht vom „stereotyp threat“ (Bedrohung durch Beschämung). Kinder mit Flucht- oder Migrationshintergrund sind besonders betroffen. Diese gesamte Gemengelage spielt eine Rolle für Integration im Bildungsbereich. Doch in der politischen Diskussion geht es nur um Spracherwerb und Deutschförderung. Deutsch ist zweifelsohne eine Schlüsselkompetenz. Aber die Debatte wird sträflich verengt. Das Konzept der Deutschförderklassen in der jetzigen Form hat versagt.
Erfahrungen aus der Praxis in der Diakonie
Als Diakonie sehen wir in der Praxis: Die Eltern wollen, dass ihre Kinder in der Schule erfolgreich sind. Sie brauchen Unterstützung, damit sie wiederum ihre Kinder unterstützen können. Stärkere Bildungspartnerschaft und Mitwirkungspflicht der Eltern wie im Regierungsprogramm vorgesehen, weisen in die richtige Richtung – wenn nicht mit Druck und Sanktionen gearbeitet wird, das ist kontraproduktiv. Produktiv sind z.B. Elterncafes, Erziehungsberatung und Schulsozialarbeit, die auch die Eltern mit einbezieht.
Ein zweiter hilfreicher Ansatz im Regierungsprogramm ist ein „Chancenbonus und datenbasierte Schulentwicklung“. Die Diakonie plädiert für die flächendeckende Einführung eines Chancenindex für sozial benachteiligte Schulstandorte. Dafür notwendig ist die Verankerung im Finanzausgleich und der Ausbau ganztätiger verschränkter Schulformen. Mit einem solchen Sozialindex werden unter anderem Bildungsstand, Beruf und Einkommen der Eltern sowie Alltagssprache der Schüler:innenerfasst. Je nach Ergebnis würde eine Schule um einen bestimmten Prozentsatz x mehr an Ressourcen bekommen. Diese Ressourcen müssen in die Schulentwicklung, in Unterrichtsqualität und neue Unterrichtsmodelle (z.B. Deutsch lernen durch Theater spielen), die räumliche Ausstattung der Schulen (z.B. Räume für Lernen am Nachmittag, aber auch für Bewegung) und in die sozialpädagogische Ausbildung der Lehrer fließen. Das macht den Schulstandort attraktiv. Und zwar für alle. Dann sparen wir uns auch Debatten über die Verteilung von „Problemkinder“ auf Schulstandorte. Schulen an derzeit benachteiligten Standorten müssen so gut werden, dass alle Eltern ihre Kinder hinschicken wollen.
Stimmen aus der Praxis der Diakonie zum Thema Bildung / Chancen
Aus einer inklusiven Oberstufe:
„Inklusion meint alle miteinander, alle brauchen dann und wann individuelle Unterstützung. Unsere Schüler*innen wollen in einer bunten und vielfältigen Bildungseinrichtung lernen, in der sie von offenen Armen, Flexibilität und individueller Unterstützung profitieren. Der Unterricht mit Gleichaltrigen fördert die persönliche Entwicklung aller Beteiligten. Inklusion kommt allen zugute, durch die Herausforderungen wachsen sowohl kognitive als auch emotionale Intelligenz.“ Elisabeth Krejci, Inklusion, Evangelisches Gymnasium Donaustadt
Aus der Elternarbeit:
„Kinder sind abhängig von dem, was sie in erster Linie in ihren Familien und den Bildungseinrichtungen erfahren. Gut informierte Eltern tragen dazu bei, sie besser unterstützen zu können. Das wiederum trägt zu mehr Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit bei.
Daher wünschen wir uns Elternbildung an Schulen als festen Bestandteil des Bildungssystems.“ Dr.in Heike Summerer, Projektleitung SESAM
Aus einer inklusiven Schule in Linz:
„Als Schulassistentin bin ich direkt an der Seite des Kindes- ich unterstütze beim Lernen, in der Kommunikation und im Klassenverband. Für Kinder mit Behinderung bedeutet das mehr Teilhabe und Selbständigkeit. Für die ganze Klasse schafft das gemeinsame Lernen mehr Verständnis, Respekt und ein starkes Miteinander." Iris Aman, Schulassistentin Oberösterreich
Aus der Lernhilfe:
„Zu uns kommen Kinder, die ein Mehr an individueller Unterstützung beim Lernen brauchen, als im derzeitigen Schulsetting geboten werden kann. Die Kinder kommen freiwillig, sind hoch motiviert und arbeiten aktiv an ihrem schulischen Erfolg. In der Lernhilfe bieten wir ihnen den Platz zum Lernen, den es zu Hause oft nicht gibt und Unterstützung in allen schulischen Fächern von pädagogisch geschulten Lernbetreuer:innen. So haben unsere Teilnehmenden die Möglichkeit, Lernstoff zu wiederholen und Wissen zu festigen. Wir wünschen uns ein Bildungssystem, das Bildungsgerechtigkeit und damit auch Teilhabegerechtigkeit, für alle schafft. Langfristig gesehen, wünschen wir uns, dass es uns nicht mehr braucht!“ Anngrit Pichler, Diakonie Flüchtlingsdienst, Expertin für Integration