„Mit 18 in die Unterstützungslosigkeit“ – Was Care Leaver brauchen

  • News
21. Februar 2025
Bei einer großen Fachtagung am 21. Februar an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt treten Care Leaver und Trägerorganisationen gemeinsam für Verbesserungen der Situation von Care Leavern in Österreich ein. Denn: „Care Leaver brauchen keine prekären Verhältnisse, sondern echte Chancen für ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben.“

Care Leaver: junge Menschen ohne Betreuung

Care Leaver sind junge Erwachsene, die – aus Betreuungssystemen der Kinder- und Jugendhilfe kommend – mit 18 Jahren an der Schwelle zur Selbständigkeit stehen. Für diese Übergangsphase fehlen bundesweit einheitliche Regelungen und wichtige Unterstützungsangebote, die den Jugendlichen echte Chancen für ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben ermöglichen können. 

Trägerorganisationen fordern Verbesserungen

Im schlimmsten Fall endet mit 18 Jahren jegliche Unterstützung. Gemeinsam setzten sich ehemalige Care Leaver und viele Trägerorganisationen sozialpädagogischer Angebote – Diakonie, Pro Juventute, Caritas, Volkshilfe Wien, Kinder- und Jugendanwaltschaft Salzburg, Affido, [um]bruch:stelle Arbeitskreis Noah, WG „Fühl dich wohl“ – sowie der Dachverband Österreichischer Kinder- & Jugendhilfeeinrichtungen für notwendige Verbesserungen ein.

„Ich halte es für besonders wichtig, dass diese Fachtagung die Care Leaver selber in den Mittelpunkt stellt. Sie sind die Experten ihrer Lebenswelt. Dass so viele Organisationen gemeinsam für eine Sache eintreten, verdeutlicht die Wichtigkeit“, so Astrid Körner, Rektorin der Diakonie de La Tour.

Expert:innen ihrer eigenen Lebenswelt

Die Organisation und Ausrichtung der Fachtagung erfolgte gemeinsam mit Mitgliedern des Care Leaver Verein Österreichs, der sich für die Anliegen Betroffener einsetzt. Ehemalige Care Leaver sind die wichtigsten Experten ihrer eigenen Lebenswelt und können reflektiert darüber berichten, wie es ist, ohne familiären und finanziellen Rückhalt schon oft ab 18 mit Themen wie Ausbildungsstellen- und Wohnungssuche, emotionalen Belastungen und existenziellen Druck umgehen zu müssen, ohne sich dabei auf ein stabiles soziales Netz verlassen zu können.

Wir brauchen Chancengleichheit, so Alexandra Weiss vom Care Leaver Verein Österreich. Chancengleichheit im Sinne von Unterstützung bis zur wirklichen Selbständigkeit, und nicht nur bis zum 18. Lebensjahr. Kinder und Jugendliche, die in Familien aufwachsen, haben ein soziales Netz und ziehen statistisch gesehen erst mit 25,4 Jahren aus. „So wäre es aus unserer Sicht enorm wichtig, flexible Betreuungsmöglichkeiten bis zum 26. Lebensjahr für alle Care Leaver anbieten zu können“, so Alexandra Weiss. „Care Leaver brauchen keine prekären Verhältnisse, sondern echte Chancen für ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben!“

Rebecca Blattner vom Care Leaver Verein ergänzt: „Care Leaver stehen oft am Abgrund. Nicht, weil sie gescheitert sind, sondern weil das System sie im Stich lässt. Es sind nicht fehlende Fähigkeiten, die sie scheitern lassen – es sind fehlende Möglichkeiten. Hinter jedem Care Leaver steht eine Geschichte voller Brüche – aber auch voller Hoffnung. Wenn es uns als Gesellschaft nicht gelingt, sie aufzufangen, werden wir unserer Verantwortung nicht gerecht. Wir/Sie brauchen kein Mitleid, sondern Mut zu echten Veränderungen und Perspektiven. Denn es geht nicht nur ums Überleben – es geht um ein Leben in Würde, Sicherheit und Hoffnung. Dafür kämpfen wir, denn jeder Mensch zählt.“

Strukturelle Barrieren und Unterstützungsbedarfe im Prozess des Leaving Care wissenschaftlich bestätigt

Univ.-Prof. Dr. Stephan Sting von der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Arbeitsbereich Sozialpädagogik und Inklusionsforschung, hat mit seinem Team die Situation von Care Leavern anhand unterschiedlicher Studien untersucht. Seine Forschung unterstützt die Position der Care Leaver: „Die Jugendphase und der Übergang ins eigenständige Leben haben sich in den letzten Jahrzehnten massiv verändert, so dass junge Menschen heute bis weit ins dritte Lebensjahrzehnt auf Unterstützung durch die Familie angewiesen sind. Das Kinder- und Jugendhilfesystem hat diese Veränderung nicht mitgemacht, so dass Care Leaver, die keine familiäre Unterstützung erhalten, mit einer Fülle von strukturellen Barrieren und Benachteiligungen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Teilhabe konfrontiert sind.“

„In der Phase des Leaving Care gibt es dringenden Handlungsbedarf“, so Matthias Liebenwein, Leiter des Bereichs Kind, Jugend & Familie der Diakonie de La Tour. „Wie sehen, wie wichtig und notwendig die neuen Care Leaver Anlaufstellen in Villach und Klagenfurt sind, die wir im Auftrag des Landes Kärnten betreiben können. Es gibt eine große Nachfrage und die Unterstützung in dieser Phase wirkt nachhaltig positiv.“

„Die jungen Menschen leben unterschiedlich lang in Betreuungseinrichtungen von Pro Juventute - manche sehr, sehr lange, ja sogar fast ihre ganze Kindheit. Die Kinder - und Jugendhilfe sagt am Beginn einer Betreuung sichere und verlässliche Beziehungsangebote zu. Diese Zusage darf nicht mit dem 18-enten Geburtstag enden!“ so Andrea Scharinger, Geschäftsführerin von Pro Juventute. „Aus Sicht von Pro Juventute bleiben Care Leaver ein Leben lang Care Leaver! Wir sehen uns, wenn von Care Leavern gewünscht, für sie ohne zeitliche Begrenzung je nach Bedarf mehr oder weniger intensiv verantwortlich.“

Kein Weg zurück – mehr Offenheit im System

Mit 18 Jahren kommt es zu einer weitreichenden Weichenstellung: Die staatliche Fürsorgepflicht endet und Jugendliche können auch auf eigenen Wunsch Betreuungseinrichtungen verlassen. Nach vielen Jahren in Betreuungssystemen mit geregelten Tagesabläufen und Unterstützungsangeboten ist der Drang manchmal sehr groß, es trotz fehlender familiärer Unterstützung, selbst zu versuchen. Gelingt es dann nicht, im Leben alleine Fuß zu fassen und braucht doch noch Unterstützung, führt kein Weg zurück. Obdachlosigkeit und fehlende abgeschlossene Ausbildungen können die Folge sein. „Auch hier bedarf es dringend eine gesetzliche Änderung, um eine Rückkehr zu ermöglichen“, sagt Matthias Liebenwein.

Gemeinsame Allianz für Verbesserungen

Der Care Day wird vom Care Leaver Verein Österreich und vielen Organisationen mitgetragen. Einig sind sich alle in den Forderungen nach einer österreichweit einheitlichen Regelungen auf eine längere Betreuung, bestenfalls bis zum 26. Lebensjahr, eine Rückkehrmöglichkeit in Betreuungssettings, sollte man einseitiger Beendigung wieder in Einrichtungen zurückkehren wollen und begleitende Maßnahmen wie Care Leaver Anlaufstellen in allen Bundesländern.

Recht auf Hilfe für Jugendliche bis 24. Jugendliche mit schwieriger Lebensgeschichte brauchen Begleitung und Betreuung über das 18. Lebensjahr hinaus.

Mehr erfahren

Ihre Ansprechperson zu dieser News

Mag. Hansjörg Szepannek
Referatsleitung Kommunikation, Presse