Inklusiv – die Oberstufe für alle!

  • Analyse
26. August 2024
Zwei Schulen der Diakonie zeigen, dass Inklusion in der Oberstufe funktioniert

Von Dominik Alturban
Inklusionspädagoge am Evangelischen Realgymnasium Donaustadt der Diakonie in Wien
 

Kinder mit Behinderungen werden in unserem Schulsystem nach wie vor benachteiligt. Anstatt ein inklusives Schulsystem für alle zu schaffen, in dem Barrieren abgebaut, Nachteile ausgeglichen und individuelle Fähigkeiten gefördert werden, wird häufig nur auf (körperliche) Defizite geschaut. Viele Kinder mit Behinderung besuchen eine Sonderschule, und eine höhere Schulbildung ist für sie erst gar nicht vorgesehen. 

Speziell im Bereich der Sekundarstufe (ehem. „Unter- und Oberstufe“), also ab dem 9. Schuljahr, wird Inklusion vorrangig als Aufgabe der Mittelschule verstanden. Und in der Sekundarstufe zwei (Oberstufe) gibt es für Gymnasien schlichtweg keinen inklusiv gedachten Lehrplan für Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf nach der Pflichtschule. 

Das bedeutet, dass viele Jugendliche mit Behinderungen dann entweder gar keine Schule mehr besuchen können, oder die letzten Jahre ihrer Schullaufbahn in einer Sonderschule verbringen. Nur einzelne Schulen, wie die inklusiven Oberstufen der Diakonie am Evangelischen Realgymnasium (ERG) in Wien und am Montessori Oberstufen Realgymnasium (MORG) in Salzburg zeigen aber, dass die Umsetzung von Inklusion als Menschenrecht in der Praxis möglich ist. Und sie zeigen, welchen lebenslangen Mehrwert Jugendliche mit und ohne Behinderungen von einer derartigen Maßnahme mitnehmen.

Diese Schule hat uns der Himmel geschickt! Diese Feststellung machen wir in unregelmäßigen Abständen immer wieder. So haben Jugendliche mit Behinderung die Chance auf eine umfassende Allgemeinbildung, auf kognitiver ebenso wie menschlicher Basis. 

Mutter einer Oberstufen-Schülerin mit Behinderung

Was heißt es, in eine Sonderschule zu gehen?

Sonderschulen als Parallelsystem bedeuten für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf mehrheitlich, dass ihnen die Zukunft am ersten Arbeitsmarkt verwehrt wird. Und dass sie nach der Schule nur in Tagesstrukturen oder Werkstätten Beschäftigung finden. Ohne Lohn, sondern lediglich mit einem Taschengeld und ohne volle Sozialversicherungsleistungen.

Wie weit ist der Weg in Österreich noch zur flächendeckenden Inklusion in der Schule?

In Österreich fehlt es nach wie vor an der flächendeckenden Inklusion im Bildungsbereich. Und das, obwohl sich die Republik 2008 zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet hat. Das würde heißen, dass Menschen mit Behinderungen ein Recht auf Bildung haben. Und das würde heißen, dass sich Österreich verpflichtet, ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen zu etablieren, und Betroffenen die Möglichkeit des lebenslangen Lernens zuzusichern.

Österreich hat ein schlechtes Zeugnis für Inklusion in der Schule bekommen

Für die (mehr als mangelhafte) Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wurde Österreich von der Staatenprüfung der Vereinten Nationen 2023 ein schlechtes Zeugnis ausgestellt. Man sprach gar von Rückschritten im Vergleich zur letzten Überprüfung. 

Inklusion ist ein fortlaufender Prozess. Es geht um die aktive und gleichwertige bzw. gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen. Chancengleichheit für alle. Natürlich gehört der Teilbereich Schule auch dazu. 

Leider sind Sonderschulen hierzulande nach wie vor weit verbreitet. Im Schuljahr 2022/23 gab es österreichweit 28.840 Schülerinnen und Schüler mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF). Knapp 38% von ihnen besuchten eine Sonderschule. 

Die Vergabe eines sonderpädagogischen Förderbedarfes ist nach Einschätzung viele Expert:innen intransparent und abhängig vom ausstellenden Bundesland. Außerdem erfolgt die Vergabe häufig nach medizinischen Kriterien und wirft einen defizitorientierten Blick auf junge Menschen. 
Anstatt zu fragen, was die Person kann, welche Unterstützungsleistungen notwendig wären und wie in der Umwelt Barrieren abgebaut werden könnten, wird nur auf die Defizite der Person geschaut.

Die bisherigen Erfahrungen in der inklusiven AHS-Oberstufe des ERG Donaustadt und des MORG Salzburg haben gezeigt, dass alle Absolvent:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf von der Teilhabe in der Sekundarstufe II profitiert haben. 
Nationale  Trends zeigen, dass ehemalige Sonderschüler:innen zu einem großen Prozentsatz nach Beendigung der Schulkarriere in einer „geschützten“ Werkstatt ohne alternative Wahlmöglichkeit verbleiben. Oder dass sie gar ohne jeglichen Arbeits- oder Ausbildungsplatz auskommen müssen.
Die Absolvent:innen des ERG Donaustadt und des MORG Salzburg können in ihrer Mehrzahl Lehrstellen antreten und (bisweilen verlängerte) Lehren abschließen. Sie schaffen es, weiterführend in dreijährige, mittlere Schulen ohne „Inklusionsstatus“ zu wechseln, oder fassen in einem der wenigen inklusiven Projekte im tertiären Bildungsbereich Fuß.

Ihre Ansprechperson zu dieser Analyse

Andrea Werdenigg MA
Sozialexpertin Menschen mit Behinderungen, Inklusion und Bildung