Geflüchtete Jugendliche können die Fachkräfte von morgen sein

  • Analyse
18. Juni 2024
Sie wollen arbeiten. Geben wir ihnen eine Chance.

Einerseits schreit der Arbeitsmarkt nach jungen und engagierten Arbeitskräften.  Andererseits blockiert oft Voreingenommenheit mögliche und sinnvolle Lösungen. Wollen wir in Österreich wirklich wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden hinnehmen? Oder wollen wir pragmatische Lösungen zulassen, wenn es um Jugendliche geht, die in Österreich um Schutz angesucht haben?

Die Flüchtlingskinder von heute sind die Fachkräfte von morgen

Viele Arbeitgeber:innen kommen ins Schwärmen, wenn sie über ihre jungen afghanischen Mitarbeiter:innen reden. Meist sind es junge Männer, voller Fleiß und Tatendrang. Nur wenige junge Frauen aus Afghanistan hatten die Möglichkeit aus Afghanistan zu fliehen. Von den besten und lerneifrigsten Mitarbeitern ist da oft die Rede. Es sind Menschen, die in Österreich bleiben wollen und die bleiben werden. Geben wir ihnen die Möglichkeiten, hier ein Leben in Sicherheit und Frieden zu führen, in dem sie ihre Talente auch einsetzen können.

Aus mehreren Gründen ist es kurzsichtig, Kinder und Jugendliche, die ohne ihre Eltern auf ihrer Flucht in Österreich gelandet sind, untätig, ohne geeignete Betreuung den ganzen Tag in für sie ungeeigneten Unterkünften sitzen zu lassen:

  1. Unbegleitete Minderjährige werden nicht (nach dem sogenannten Dublin System) in andere europäische Länder zurückgeschoben. Sie haben ihr Asylverfahren hier und müssen zuwarten, ob ihnen Schutz gewährt wird. Sie über Monate und Jahre zuwarten zu lassen, ohne ihnen Bildung und Ausbildung zu ermöglichen, ist unklug. Für junge Menschen gibt es nichts abzuwarten, sie wollen und sollen sich mit Lernen auf ihr Erwachsenenleben vorbereiten.
  2. Kinder brauchen für ihre Entwicklung eine liebevolle und intensive Begleitung. Sie brauchen eine obsorgeberechtigte Person an ihrer Seite, die mit ihnen die wichtigen Entscheidungen für ihre Zukunft trifft. Sie brauchen Rat und Tat, um auf den für sie richtigen (Aus-)Bildungsweg zu kommen.
  1. Ohne eine erwachsene Person, die sich ihrer annimmt, ist die Gefahr groß, dass Kinder und Jugendliche auf dumme Gedanken kommen und auf Abwege geraten. (Das gilt für alle Kinder, geflüchtete Kinder und Jugendliche bilden hier keine Ausnahme)

Unterbringung und Betreuung von jungen Geflüchteten muss dringend verbessert werden

Unbegleitete Kinder und Jugendliche, müssen in Österreich lange Zeit ohne individuelle Betreuung in Einrichtungen (des Bundes) leben, die nicht ihren Bedürfnissen und auch keinen in Österreich geltenden gesetzlichen Standards für Kinder entsprechen. Sogar unter 14-Jährige leben de facto unbetreut im Flüchtlingslager Traiskirchen und werden der Verwahrlosung preisgegeben. Und das, obwohl nach der österreichischen Bundesverfassung jedes Kind dieselben Rechte hat, unabhängig von seiner Herkunft. Alle Kinder, die von ihren Familien getrennt sind, haben nach der geltenden Gesetzeslage Anspruch auf besonderen Schutz und Unterstützung.
Doch nein: In Österreich müssen ihre Potenziale brachliegen: Schulbesuch und Ausbildung sind für sie nur sehr schwer zugänglich.

Justizministerin  Alma Zadic hat schon 2021 einen Gesetzesvorschlag für eine neue Obsorgeregelung ausgearbeitet, so wie es auch im Koalitionsvertrag der Türkis-Grünen Bundesregierung ausverhandelt war. Dass dieser Vorschlag nicht in den Ministerrat kommt, liegt am Widerstand der Bundesländer, die nicht bereit sind, in eine gute Betreuung der geflüchteten Jugendlichen zu investieren.

Kinder und Jugendliche, die gemeinsam mit ihren Eltern, oder auch allein nach Österreich flüchten, haben einen erschwerten Zugang zu Bildung und Ausbildung. Dafür gibt es im Wesentlichen drei Gründe:

1. Das österreichische Asylsystem sieht Integrationsangebote (dazu zählen auch Sprachkurse) erst nach positivem Abschluss des Asylverfahrens vor. Deutschkenntnisse sind jedoch im österreichischen Bildungssystem, das sehr einsprachig (auf die deutsche Sprache hin ausgerichtet) ist, Voraussetzung, um jeglicher Form von Unterricht folgen zu können.

2. Im österreichischen Bildungssystem haben formale Bildungsabschlüsse eine sehr hohe Relevanz. Für quereinsteigende Jugendliche ist es damit schwer zugänglich. Formale Bildungsabschlüsse können zwar nachgeholt werden, was jedoch in der Praxis sehr mühsam und zeitraubend ist.

3. Wer älter als 15 Jahre ist und damit nicht mehr schulpflichtig, hat keinen Anspruch auf den Besuch einer höherbildenden Schule. Die Aufnahme kann abgelehnt werden, wenn der Altersunterschied zu den anderen Schülern zu groß wäre.

3. Der Zugang zu einer Lehrlingsausbildung ist für asylsuchende Jugendliche erst seit Sommer 2021 wieder möglich.  Davor war es de facto verboten, eine Lehre zu beginnen („Bartenstein-Erlass“ aus dem Jahr 2004). Wegen der jahrelangen vorangegangenen öffentlichen Debatte herrscht hier noch eine große Verunsicherung bei den Unternehmer:innen in Bezug auf Neuanstellungen.

Politik lässt junge Menschen im Stich

Und hier stehen wir nun an einem Scheideweg, der das Schicksal unzähliger junger Menschen und letztlich auch unserer eigenen Gesellschaft bestimmen wird:

Geflüchtete Jugendliche, die voller Potenzial und Tatendrang sind, wollen wertvolle Mitglieder unserer Gemeinschaft werden. Doch anstatt ihnen die Hand zu reichen und ihnen die Chancen zu bieten, die sie für ihre Entwicklung bräuchten, werden sie im Stich gelassen. Diese jungen Menschen könnten die Fachkräfte von morgen sein, die unsere Wirtschaft dringend benötigt. Sie könnten die kreativen Köpfe und engagierten Arbeitskräfte sein, die so dringend benötigt werden.

Die Zeit für ein Umdenken ist gekommen: Die vorhandenen Potenziale müssen genutzt werden!

Es ist an der Zeit, die Prioritäten neu zu ordnen. 

Es ist an der Zeit, zu erkennen, dass jedes Kind, unabhängig von seiner Herkunft, Recht auf Schutz, Unterstützung und Bildung hat. Ganz so, wie es die UN-Kinderrechtskonvention vorgibt.

Es ist an der Zeit, die politischen Blockaden zu überwinden und pragmatische Lösungen finden, die sowohl den Bedürfnissen der geflüchteten Jugendlichen als auch denen unserer Gesellschaft gerecht werden.

Wir brauchen sie alle! Geben wir ihnen die Chance, die sie verdienen.

Autor:innen

Mag. Christoph Riedl
Grundlagen & Advocacy
Sozialexperte Migration, Asyl, Integration, Menschenrechte