Ludwig Schwarz gründete 1874 den Verein für Innere Mission, 1874 ist damit das Gründungsjahr der Diakonie in Österreich - in Anlehnung an Deutschland, wo die Errichung des Central-Ausschusses für Innere Mission 1848 als Gründungsdatum gilt. (Bildquelle: Historisches Archiv Diakoniewerk Gallneukirchen)
„In Christus Jesus gilt der Glaube, der in der Liebe tätig ist.“ Diese verkürzte Stelle aus dem Paulus-Brief an die Galater steht auf der Erinnerungstafel am Geburtshaus der Brüder Ludwig und Ernst Schwarz in Melk. In diesem festen Glauben führten sie ihre Lebenswege nach Gallneukirchen in Oberösterreich und nach Waiern in Kärnten, wo sie als evangelische Pfarrer für Kinder und Alte, für Kranke, Behinderte und Leidende „in der Liebe tätig“ wurden.
Ludwig Schwarz studierte evangelische Theologie in Wien, Leipzig und Jena. Seine erste Stelle als Pfarrer trat er Ende 1863 in der neugeründeten Pfarrgemeinde von Görz (im heutigen Italien) an. Die Gemeinde war klein, hatte aber einige sehr wohlhabende und einflussreiche Mitglieder. Über sie lernte er Elvine Ritter von Zahony, die spätere Gräfin de La Tour, kennen und auch seine Frau Cécile, die aus einer reichen Schweizer Handelsfamilie stammte. Sie wurde ihm nach der Hochzeit 1867 zu einer starken Lebenspartnerin.
Praktische Frömmigkeit
Als Ludwig Schwarz in eine Phase von Glaubenszweifeln geriet, wurde ihm ein Buch geschenkt, das ihn stark beeinflusste: „Martin Boos, der Prediger der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.“ Boos war katholischer Geistlicher, Initiator der Allgäuer Erweckungsbewegung und wurde wegen seiner als „reformatorisch“ eingestuften Predigten innerkirchlich immer wieder verfolgt. Die von Boos propagierte pietistische Idee einer höchstpersönlichen, auf die Praxis ausgerichteten Frömmigkeit sprach Schwarz an. Der Jesus-Satz „Weide meine Lämmer“ wurde ihm zum konkreten Auftrag.
Im Oktober 1871 wechselten Ludwig und Cécile Schwarz nach Gallneukirchen, wo bis 1816 auch Martin Boos gewirkt hatte und wo nach der Trennung von Linz eine neue evangelische Gemeinde aufzubauen war. Das Ehepaar wollte aber den Glauben gleich in Taten übersetzen.
Pionierarbeit
Nach der Gründung der „Waisen- und Rettungsanstalt Weikersdorf“ rief Ludwig Schwarz am 5. Februar 1874 den Evangelischen Verein für Innere Mission ins Leben und damit die Keimzelle des heutigen Diakoniewerks Gallneukirchen. Seine Pionierarbeit für Arme, Kranke, verwahrloste Kinder, Menschen mit Behinderung und all die anderen Notleidenden des beginnenden industriellen Zeitalters machte den Glauben von Ludwig und Cécile Schwarz tatsächlich für alle sichtbar.
1877 verwirklichte der Pfarrer seinen lang gehegten Wunsch und holte die erste Diakonissenanstalt nach Österreich. Deren Glaubens-, Lebens- und Dienstgemeinschaft war 1836 in Kaiserswerth bei Düsseldorf gegründet worden. Cécile Schwarz kümmerte sich um die ersten Schwestern, arbeitete mit ihnen in der Alten- und Krankenpflege, half in der Pfarrgemeinde mit und zog drei Waisenkinder auf. Mit Fleiß, Geschick und tatkräftigen Unterstützer:innen gelang es dem Ehepaar, immer mehr soziale Einrichtungen aufzubauen.
Cécile Schwarz verstarb 1905 in höchstem Ansehen, ihr Mann überlebte sie um fünf Jahre. Im Gästebuch der Gräfin de la Tour hinterließ er einen Satz, der seinen Antrieb in einfachen Worten erklärt:
„Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“
Elise Lehner wurde nach dreijähriger Ausbildung in Stuttgart 1877 als eine der ersten Gallneukirchner Diakonissen eingesegnet. Diakonissen sind Frauen, die ehelos in einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft in Diakonissenmutterhäusern leben, die im 19. Jh. ausgehend von Kaiserswerth bei Düsseldorf gegründet wurden. Wie Elise Lehner, arbeiten Diakonissen meist in Sozial- und Pflegeberufen. (Bildquelle: Historisches Archiv Diakoniewerk Gallneukirchen)
Als Elise Lehner am 2. April 1847 in Gumpolding in Oberösterreich zur Welt kam, war ihre Entwicklung zur Pionierin der Diakonissenbewegung in Österreich und zur ersten Oberin des Mutterhauses des Vereins für Innere Mission in Gallneukirchen in keiner Weise vorgezeichnet. Sie war das neunte von zehn Kindern einfacher Nebenerwerbslandwirte. Als ihr Vater verstarb, musste sie den Hof verlassen und sich als Magd verdingen. Doch sie hatte Glück, fand einen verständnisvollen, gläubigen Dienstherrn und mit dem Pfarrer von Thening einen guten Seelsorger.
Nach Stuttgart zur Ausbildung
Schicksalshaft wurde ihre Begegnung mit dem neuen Gallneukirchener Pfarrer Ludwig Schwarz, zu dessen eindrucksvollen Predigten sie regelmäßig anreiste und der rasch erkannte, wie viel Hausverstand, Geschick und Tatkraft in der jungen Frau steckten. Eines Tages fragte er sie, ob sie nicht Diakonisse werden wolle, und rannte damit offene Türen ein. Elise Lehner hatte schon länger mit diesem Gedanken gespielt.
Es war eine Zeit, die geprägt war durch einen gewaltigen wirtschaftlich-gesellschaftlichen Wandel, durch eine beginnende Neudefinition der Rolle der Frau und die Entstehung der professionellen Krankenpflege und Sozialarbeit. Mit einem Empfehlungsschreiben, das ihr großes Talent hervorhob, trat sie gemeinsam mit Elisabeth Obermeir 1874 ihre Ausbildung im Stuttgarter Mutterhaus an.
„Dienen will ich“
Was folgte, war ein unglaubliches Aufbauwerk unter schwersten Bedingungen. Den Anfang machten drei Krankenzimmer im Pfarrhaus Gallneukirchen, später wurde der Schüttboden zu einem Krankenasyl umgebaut. Anfangs war Cécile Schwarz, die Frau des Pfarrers, informell für die Schwestern verantwortlich. Doch 1884 wurde Elise Lehner zur ersten Oberin ernannt und blieb es mehr als 30 Jahre lang.
Mit großem Organisationstalent, Fleiß, Mut und Zähigkeit stellte sie sich dieser Aufgabe und wurde für Pfarrer Ludwig Schwarz zur unentbehrlichen Stütze. Es gelang ihr, eine Reihe neuer Standorte aufzubauen, wobei sie in der Anfangsphase immer persönlich mitarbeitete. Sie war am Bau des Evangelischen Krankenhauses in Linz beteiligt und konnte 1909 den Wunsch nach einem eigenen, großzügigen Mutterhaus in Gallneukirchen verwirklichen.
Die Zahl der Einrichtungen, in denen Kranke und Menschen mit Behinderungen gepflegt wurden, wuchs unter ihrer Führung ebenso an wie die Zahl der Diakonissen. Als sie ihr Amt 1916 wegen Krankheit übergab, waren aus 15 Schwestern mehr als 100 geworden. 1921 verstarb Elise Lehner, Elisabeth Obermeir folgte ihr wenige Monate später.
Auf einem Fenster der Mutterhauskapelle steht der Diakonissenspruch, dem sich die beiden Pionierinnen ein Leben lang verpflichtet gefühlt haben: „Was will ich? Dienen will ich. Wem will ich dienen? Dem Herrn in seinen Elenden und Armen. Und was ist mein Lohn? Ich diene weder um Lohn noch um Dank, sondern aus Dank und Liebe; mein Lohn ist, dass ich darf!“
Amelie von Langenau, Methodistin und Kämpferin für soziale Reformen und Frauenrechte, unterstützte den Verein für Innere Mission in Gallneukirchen und den Verein für die evangelische Diakoniessensache in Wien finanziell. (Bildquelle: Historisches Archiv Diakoniewerk Gallneukirchen)
Amelie von Langenau, geborene Haffner, entstammte einer privilegierten Familie. Sie war die Tochter eines dänischen Ministers und heiratete 1856 einen österreichischen Diplomaten, mit dem sie lange Jahre in Schweden, den Niederlanden und Russland lebte. Nach dessen Tod 1881 zog sie nach Wien und begann, ihr Vermögen für wohltätige Zwecke einzusetzen. Sie entwickelte sich zu einer wichtigen Impulsgeberin und Frauenrechtsaktivistin, die sich energisch, furchtlos und zielbewusst für Ideen und Projekte einsetzte, die sie in ihrer protestantischen Glaubenshaltung für gut und richtig hielt.
Wichtige Finanzierin
Amelie von Langenau war dem Verein für Innere Mission Gallneukirchen eng verbunden und unterstützte ihn finanziell bis an ihr Lebensende. Dabei war die Beziehung nicht frei von Konflikten, denn sie wollte stark mitgestalten und engagierte sich parallel auch beim konkurrierenden Verein für die evangelische Diakonissensache in Wien.
Zum Zerwürfnis kam es 1892, als sich die Baronin unter Protest aus dem Vorstand des Vereins in Gallneukirchen zurückzog. Grund war ein von ihr als kritisch empfundener Artikel im Vereinsblatt über die junge evangelisch-methodistische Kirche.
Unterstützerin der Methodistenkirche
Amelie von Langenau hatte sich der methodistischen Kirche 1890 angeschlossen und finanzierte sie ebenfalls großzügig. Die Überzeugung der Methodisten von einer bewussten inneren Umkehr, von Buße und einer konsequenten Lebensführung, die zu persönlichem Heil führe, sprach sie an.
1901 war Amelie von Langenau Mitbegründerin der Wiener Settlement-Bewegung, die Kinderbetreuung, Ausspeisungen, Ferienkolonien, Elternbildung und Berufsberatung organisierte. Im Folgejahr wurde sie erste Präsidentin des Vereins abstinenter Frauen, der Alkoholgenuss in jeder Form bekämpfte, um soziale Folgeschäden zu verhindern. Als sie – zusammen mit anderen Frauen – bei Landtagsersatzwahlen im 10. Wiener Bezirk für den Sozialdemokraten Victor Adler war, wurde sie in der christlichsozialen Presse wüst angegriffen.
Als Amelie von Langenau 1902 bei einem Badeunfall ums Leben kam, war ihr Vermögen praktisch aufgebraucht. In einem Nachruf würdigte sie der Methodisten-Prediger Friedrich Rösch als „auserwählte Frau“, die viele Dinge in Bewegung gebracht habe. Kritisch merkte er an, dass sie auf zu viele Menschen gehört und ihre Unterstützung manchmal ohne „Prüfung und Überlegung, aber immer im guten Glauben“ verteilt habe.
Görz an der Grenze zwischen Italien und Slowenien, Russiz in Italien, Treffen in Kärnten – die Orte, an denen Elvine de La Tour Anstalten gegründet hat, zeigen, dass das Gebiet, in dem die Diakonie in Österreich entstanden ist, größer war als das heutige Österreich. (Bildquelle: Diakonie de La Tour)
Offene Augen, ein mitfühlendes Herz und eine starke innere Glaubensorientierung wurden zu Fundamenten für ein Lebenswerk, mit dem Elvine de La Tour ihrer in sozialen Fragen noch kalten Zeit weit voraus war.
Als Elvine Ritter von Záhony wurde sie 1841 in Görz, heute Italien, in eine steinreiche Handelsfamilie hineingeboren. Anders als vielen anderen Mitgliedern der höchsten Gesellschaftsschicht verstellte ihr der Reichtum nie den Blick auf die drängende Not, die sie umgab. Auf ihren Ausritten nahm Elvine alles wahr – die hungernden, verwahrlosten Kinder, die Perspektivlosigkeit der von Bildung ausgeschlossenen Mädchen, das Elend der Alten und Behinderten.
Glaube als tätige Nächstenliebe
Die junge Frau wurde religiös geprägt vom evangelischen Görzer Pfarrer Ludwig Schwarz, der später nach Gallneukirchen ging und dort den Verein für Innere Mission gründete, sowie der Grundidee des Pietismus, wonach sich Glaube in tätiger Nächstenliebe beweisen muss. 1873 ergriff sie die Initiative und gründete einen ersten Waisenversorgungsverein für Mädchen in Görz. Nach ihrer Heirat mit dem Grafen de La Tour verlegte sie die soziale Arbeitauf ihr Wohnschloss Russiz bei Cormons und dehnte sie ab 1885 auch auf ihr Gut Treffen bei Villach aus.
Elvine de La Tour finanzierte Heimstätten für notleidende Kinder, Schulen, Wohn und Pflegestätten für Alte und Menschen mit Behinderungen sowie viele andere Einrichtungen aus dem beträchtlichen Erbe ihres Vaters. Als dieses allein nicht mehr ausreichte, verkaufte sie ihren Schmuck.
Bildung als Schlüssel
Bei all ihren Unternehmungen ging es Elvine de La Tour nicht darum, oberflächlich Hilfe zu leisten, sondern Probleme an der Wurzel zu behandeln. Darum setzte sie auf Bildung, auf nachhaltige und verlässliche Strukturen, bekämpfte den verhängnisvollen Alkoholismus.
Obwohl sie gemäß ihrem Motto „Gott ist für alle da“ weder auf Volkszugehörigkeit noch Religion ihrer Schutzbefohlenen schaute, war sie als überzeugte Protestantin immer wieder heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Durch den Ersten Weltkrieg gingen ihre Einrichtungen in Italien verloren. Erst Jahre nach ihrem Tod 1916 gelang es, Elvine de La Tours letzten Wunsch umzusetzen: Ihr Lebenswerk wurde durch eine Stiftung abgesichert, die noch heute im Rahmen der Diakonie de La Tour weiterbesteht.
„Gott wird's wohl machen!“, sagte Elvine de La Tour in schwierigen Momenten und war mit ihrer Menschenliebe selbst eines seiner tatkräftigen Werkzeuge.
Pfarrer Ernst Schwarz begann 1873 mit der Betreuung von Burschen im Pfarrhaus in Waiern bei Feldkirchen (Kärnten). Gemeinsam mit seiner Frau Pauline, geb. Neckermann, gründete er 1888 die „Kinderrettungsanstalt“. (Bildquelle: Diakonie de La Tour)
Ernst Schwarz war der jüngere Bruder von Ludwig Schwarz, den er sich zum großen Vorbild auserkor. Wie dieser wurde auch er evangelischer Pfarrer, lebte tatkräftige Nächstenliebe und baute ein großes soziales Werk auf. Die Brüder legten an ihren Wirkungsstätten Gallneukirchen in Oberösterreich und Waiern in Kärnten die Grundsteine für zwei wichtige Zentren der heutigen Diakonie.
Ernst Matthias Schwarz wurde 1845 in Melk in eine gemischt-konfessionelle Familie geboren. Sein Vater war zwei Mal mit Katholikinnen verheiratet. Entsprechend der damaligen Regeln wurden die Söhne evangelisch, die Töchter katholisch. Diese Erfahrung prägte Ernst Schwarzs spätere soziale Arbeit, die er vor allem in der Anfangszeit überkonfessionell anlegte.
Wie Bruder Ludwig studierte Ernst Evangelische Theologie und besuchte ihn oft in dessen erster Pfarrgemeinde in Görz (im heutigen Italien). Er lernte dort auch eine Gruppe wohlhabender, wichtiger Förder:innen kennen, darunter Gräfin Elvine de La Tour. Ernst Schwarz nahm intensiv Anteil an der Glaubenskrise und Neuorientierung seines Bruders und entdeckte ebenfalls den katholischen Prediger Martin Boos für sich. Der forderte, Christentum müsse sich in der Lebenspraxis durch Taten der Liebe ausdrücken.
Ein Daheim für Kinder
Am 12. März 1871 wurde Ernst Schwarz zum Pfarrer von Waiern bei Feldkirchen gewählt. Um gegen die elenden Lebensbedingungen vieler Kinder vorzugehen, begann er 1873 mit der Betreuung von Burschen im Pfarrhaus. Nach der Hochzeit 1878 übernahm seine Frau Pauline die Aufgabe der Hausmutter und intensivierte die Bemühungen. 1881 rief Pfarrer Schwarz zur Errichtung einer „Kinderrettungsanstalt“ auf:
„Sie haben viel Mangel an Brot und kein liebes Daheim; was aber am ärgsten ist, sie haben tausendfach keine Ernährung aus dem Worte Gottes.“ Dank vieler Spender:innen konnten ab 1888 noch mehr Kinder aufgenommen und in einem eigenen Gebäude versorgt werden.
Gewichtige evangelische Stimme
Es folgten das Schülerheim in Klagenfurt, ein Krankenheim und später auch ein Kleinkinderheim in Waiern. Der Erhalt all dieser Einrichtungen war finanziell eine ständige Herausforderung. 1903 wurden sie in den neugegründeten Evangelisch Kirchlichen Hilfsverein eingebracht. 1905 erfolgte eine institutionelle Verbindung mit den Anstalten der Gräfin Elvine de La Tour in Treffen, die in den Vorstand des Hilfsvereins eintrat. Ernst Schwarz erlebte als gewichtige evangelische Stimme in Kärnten auch heftigen Gegenwind: In der Zeit der „Los von Rom“-Bewegung um 1900 wurde ihm vorgeworfen, seine soziale Arbeit diene nur der Abwerbung von Katholiken. Ab 1910 wurde ihm die zunehmende Verschuldung der Anstalten in Waiern angelastet. Es kam zu Zerwürfnissen.
Ernst Schwarz verstarb 1925. Doch sein Erbe lebt in der Diakonie de La Tour weiter.
Pflege von Alten, Kranken und Verwundeten prägte das Leben der Diakonisse Viktoria Vilmek. (Bildquelle: Historisches Archiv Diakoniewerk Gallneukirchen)
Das Schwarz-Weiß-Foto zeigt eine junge Frau in der schlichten Tracht der Diakonissen, ihre Haare sind akkurat gekämmt, ihr Blick wirkt entschlossen: Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Viktoria Vilimek bereits für ein Leben in einer verbindlichen evangelischen Schwesterngemeinschaft entschieden. Wie viele junge Frauen der damaligen Zeit, wollte sie ihre Kraft im Zuammenschluss mit Gleichgesinnten in tätige Nächstenliebe einbringen. Ihren Dienst in Spitälern und Pflegeheimen, in Einrichtungen für Kinder und alte Menschen, in Gemeinden und Ausbildungsstätten sahen diese Frauen als Auftrag Jesu Christi. Dafür verpflichteten sie sich zu Ehelosigkeit, Gehorsam und einem einfachen Lebensstil.
Viktoria (Dora) Vilimek wurde am 16. August 1892 in Brandeis im böhmischen Sudetenland geboren. Im Alter von 20 Jahren trat sie in das Mutterhaus Bethanien in Gallneukirchen ein, fünf Jahre später wurde sie zur Diakonisse eingesegnet.
Unter schwierigsten Bedingungen
Ihren ersten Dienst trat sie im Krankenhaus von Aussig an der Elbe an, heute Usti nad Labem. Die Arbeit für Kranke, Alte, Verwundete sollte ihr Leben prägen.
Während des gesamten Ersten Weltkriegs (1914-1918) war Dora Vilimek als eine von rund 90 Gallneukirchner Schwestern im Einsatz in Lazaretten für verwundete Soldaten in der Nähe der rasch wechselnden Frontverläufe (hauptsächlich in Galizien) sowie in mobilen Epidemiespitälern im Hinterland.
Diese Diakonissen arbeiteten während des Ersten Weltkriegs oft unter schwierigsten Bedingungen, wurden Zeuginnen schrecklicher Schicksale, setzten sich selbst ständiger Ansteckungsgefahr aus. Ihr Engagement, ihre Hingabe und die hohe Qualität ihrer Ausbildung fanden jedoch Anerkennung. Viele der Schwestern erhielten Auszeichnungen und Ehrungen.
Ein Leben im Dienst der Nächstenliebe
Nach dem Krieg wurde Dora Vilimek als Gemeindeschwester in Aussig eingesetzt, später pflegte sie Privatpersonen in Wien und arbeitete im Krankenhaus in Salzburg. Ihre letzten Lebensjahre widmete sie dem Kirchendienst in Gallneukirchen, wo sie am 2. Mai 1955 verstarb.
Viktoria Vilimek steht für die große Zahl von Frauen, die – getragen von religiösen Motiven – ihren Lebensweg gefunden haben und ihm mutig und konsequent gefolgt sind.
Ernst Gottfried Meyer folgt 1936 Hans Jaquemar als Generalsekretär des Zentralvereins für Innere Mission in Österreich nach. Der überzeugte Nationalsozialist baute die Innere Mission nach dem Führerprinzip um. (Bildquelle: Chronik Evangelische Gemeinde Mödling)
Der Nationalsozialismus zielte darauf ab, alle Lebensbereiche der Menschen mit seiner Ideologie zu durchdringen – auch die Religion. Er vertrat eine zutiefst antichristliche Weltanschauung und wollte den Einfluss der Kirchen zurückdrängen. Dennoch stieß er in deren Reihen auf viel Zuspruch oder zumindest auf wenig Widerspruch. Einer der evangelischen Pfarrer, die blind waren für die Unvereinbarkeit von Glauben und offener Menschenverachtung, war Ernst Gottfried Meyer.
Nationalsozialist der ersten Stunde
Der 1903 in der Schweiz geborene Meyer studierte evangelische Theologie und ging als geistliche Hilfskraft nach Österreich. Im April 1932 trat er seine erste Stelle als
Pfarrer in Bad Aussee an, wo er durch viele Rechtsstreitigkeiten auffiel, und wechselte drei Jahre später als zweiter Pfarrer nach Mödling. Als er 1936 zum Generalsekretär des Zentralvereins für Innere Mission in Österreich und Direktor der Wiener evangelischen Stadtmission gewählt wurde, zeigten sich seine Kritiker entsetzt, denn Meyer galt als überzeugter Nazi.
1934 war er unter dem Verdacht der Mitwirkung am Juliputsch sogar einige Monate lang inhaftiert worden. Innerkirchlich gehörte Meyer zum radikalen Flügel der rassistischen und antisemitischen „Deutschen Christen“. Anfangs agierte er verdeckt, ab 1938 ganz offen. Seine Initiative, eine Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Pfarrer ins Leben zu rufen, wurde weder von der Partei noch von der Kirchenleitung unterstützt. Am 7. März 1938, also fünf Tage vor dem Anschluss Österreichs, sprach Meyer in Berlin bei Erich Hilgenfeld vor, dem Leiter der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV). Dabei dürften sie sich bereits über die Zukunft der Inneren Mission in Österreich abgesprochen haben. Mit der Rückendeckung Hilgenbergs, des Wiener Gauleiters Josef Bürckel und anderer wichtiger Stellen der NSDAP wurde Meyer zur entscheidenden Figur der Gleichschaltung.
Eingliederung in die NSV
Die Innere Mission wurde der NSV eingegliedert und nach dem Führerprinzip neu organisiert. Die bisherigen Vereine wurden aufgelöst und in vier Gauverbände gegliedert, die zusammen den neuen Evangelischen Zentralverein für Innere Mission in der Ostmark bildeten. Meyer stand dem Zentralverein und dem Gauverein Wien-Niederdonau vor. Die Gleichschaltung der Diakonie bedeutete, dass die Schulen, alle Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit sowie die Krankenhäuser an die NSV abgegeben wurden. Die einzelnen Werke der Inneren Mission verloren ihre finanzielle und juristische Selbstständigkeit und ihr Vermögen.
1939 übernahm SS-Oberführer Franz Langoth die Leitung der NSV in der Ostmark. Meyer musste rasch erkennen, dass seine früheren Absprachen nicht mehr galten und dass er die gesamte Diakonie der Willkür der Volkswohlfahrt und der NSDAP ausgeliefert hatte. Am 1. Jänner 1940 verstarb Ernst Gottfried Meyer an Diabetes.
Theodora Brik wurde am 13. Jänner 1941 aus der Abteilung für „Frauen am Irrsinn leichten Grades leidend“ des Martinstifts, wo sie 20 Jahre lang betreut worden war, abgeholt, nach Hartheim gebracht und in der Gaskammer ermordet. (Bildquelle: Historisches Archiv Diakoniewerk Gallneukirchen)
Im Diakoniewerk Gallneukirchen erinnert ein Gedenkstein noch heute an Theodora Brik, eine sozial hochengagierte, mit Ehrenmedaille und Diplom ausgezeichnete Frau, die 1941 von den Nazis ermordet wurde. Wie konnte es dazu kommen?
Theodora Brik wurde 1871 in Znaim geboren und lebte mit ihren Eltern jahrelang in Wien. Ihr Vater war einer der berühmtesten Brückenbautechniker der Donau Monarchie und angesehener Hochschullehrer. Nach seiner Pensionierung übersiedelte die Familie 1913 nach Eferding, wo sich der tiefreligiöse Ingenieur im Herrenhilfsverein engagierte. Auch seine Tochter Dora folgte der Stimme ihres Gewissens, wurde während des Ersten Weltkriegs Aufsichtsdame und Leiterin der Militärpflegestätte des Roten Kreuzes im Neumüllerhaus in Eferding, heute Keplerstraße 3, das sich im Eigentum der evangelischen Kirchen gemeinde befand.
Schwer traumatisiert
Nach Schließung der Pflegestätte 1917 wurden die dort tätigen Pflegerinnen mit Ehrendiplomen und Medaillen ausgezeichnet. Die unverheiratete Theodora Brik wollte ihren Einsatz für Verwundete aber nicht beenden. Sie folgte dem Soldaten Michael Malik, den sie gepflegt hatte und mit dem sie in Briefkontakt geblieben war, nach Kolomea in der heutigen Ukraine. Es ist nicht bekannt, ob Dora Brik im dortigen Kriegsgebiet in einem Lazarett arbeitete oder was sie erlebt hat. Als sie aber wenige Monate später heimkehrte, war sie schwer traumatisiert und psychisch völlig zerrüttet. Sie wurde in die Landesirrenanstalt in Linz eingewiesen, später entmündigt und mehr als 20 Jahre lang im Martinstift des Vereins für Innere Mission Gallneukirchen in der geschlossenen Abteilung für „Frauen an Irrsinn leichteren Grades leidend“ betreut.
In der Gaskammer ermordet
Am Montag, den 13. Jänner 1941, fuhren schwarze Autos und graue Busse mit Polizisten, einem Arzt und angeblichen Pflegerinnen vor dem Martinstift vor. Sie nahmen Theodora Brik und 19 weitere Bewohner:innen mit. Insgesamt 64 Personen aus dem Diakoniewerk Gallneukirchen wurden nach Schloss Hartheim gebracht und dort im Rahmen der geheimen Aktion T4 in der Gaskammer als „unwertes Leben“ ermordet.
In der Karteikarte des Martinstifts zu Dora Brik findet sich der knappe Eintrag: „Abgang: 13.1.1941, wohin unbekannt“. Heute weiß man: Am Ende eines aufopferungsvollen und tragischen Lebens wurde die gläubige Dora Brik zum Opfer gottloser Barbarei.
Als Irma Gindelhumer 1941 drei Mädchen, die abgeholt werden sollten, vor den Nationalsozialisten versteckte, war sie 74 Jahre alt und hatte bereits 51 Jahre Dienst als Diakonisse hinter sich. (Bildquelle: Historisches Archiv Diakoniewerk Gallneukirchen)
In Momenten, die größte Zivilcourage verlangen, bleibt oft keine Zeit, um nachzudenken und abzuwägen. Der spontane Mut muss aus einer gefestigten Persönlichkeit erwachsen. Für die Diakonisse Irma Gindelhumer war es ihr tiefer Glaube, der ihr die Kraft verlieh, der SS die Stirn zu bieten. Als im Jänner 1941 die berüchtigten grauen Busse vor dem Martinstift, dem Elise-Lehner-Haus und anderen Einrichtungen des Vereins für Innere Mission in Gallneukirchen vorfuhren, um „unwertes Leben“ abzuholen, reagierte Schwester Gindelhumer blitzschnell. Als Leiterin des Fliednerhofs in der Nähe des Martinstifts gelang es ihr, drei ihrer Schützlinge vor den SS-Schergen zu verstecken.
Schicksalstag 13. Jänner 1941
Während 64 Menschen mit Behinderung im Alter zwischen 2,5 und 77 Jahren verschleppt und in Hartheim ermordet wurden, überlebten diese Mädchen den Krieg und die Zeit des Nazi-Terrors. Zwei von ihnen hat Gindelhumer bis wenige Tage vor ihrem Tod 1962 weiter gepflegt.
Der genaue Ablauf des schicksalhaften Jänner-Tages ist nicht bekannt: Die mutige Diakonisse hat sich ihrer Tat nie gerühmt, ihre Pflegekinder konnten keine genaue Auskunft geben.
„Mit den Ärmsten“
Irma Gindelhumer wurde 1867 in der Gemeinde Thening in Oberösterreich geboren. Ihre Eltern gaben ihr einen selbstverständlichen Glauben mit. 1890 trat Maria, wie sie mit Taufnamen hieß, in das Mutterhaus Gallneukirchen ein, 1895 wurde sie eingesegnet. Sie absolvierte in Stuttgart die Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitete anschließend in der Privatpflege und Kinderbetreuung.
Ab 1900 betreute sie Menschen mit Behinderungen im Martinstift und im Elise-Lehner-Haus. Mit 70 Jahren hätte sie sich eigentlich zur Ruhe setzen können, doch sie übernahm 1937 die Leitung des neu erworbenen Fliednerhofs. Dorthin zog sie „mit den Ärmsten aus unserem Elise-Lehner-Haus“, wie das Evangelische Vereinsblatt damals berichtete.
Oft wurde Gindelhumer bedrängt, sich zur Ruhe zu setzen, doch sie wollte die Verantwortung für ihre Pflegekinder nie abgeben – bis zu ihrem Tod im 96. Lebensjahr.
„Sie selbst ist durch den dauernden Umgang mit solchen Leutchen recht wunderlich geworden“, schrieb eine Mitschwester über Irma Gindelhumer. „Aber das, was vor der Welt nichts ist, das ist vor Gott groß.“
„Der Herr, unser Gott, hat euch lieb, Ihr fröhlichen Geber!“ Mit diesen Worten bedankte sich Schwester Irma einmal für Sachspenden aus Schweden. In diesem Satz schwingt ihr unbekümmertes Gottvertrauen mit. Es war ihr Fundament, als lebensverachtende Gewalt und Willkür Zivilcourage verlangten.
Johann Schager organisierte ab 1946 die Verteilung von Lebensmitteln, Kleidung und Sachspenden an die vom Krieg gezeichnete österreichische Bevölkerung und an Flüchtlinge und Heimatvertriebene. (Bildquelle: Familie Schager privat)
In der Stunde der Not zeigt sich die wahre Haltung der Menschen: Als die evangelischen Pfarrhäuser in Wien und Niederösterreich nach 1945 um Hilfe riefen, boten Gemeinden aus Oberösterreich und dem Burgenland Unterstützung an. Die Organisation dieser Hilfslieferungen mündete in die Gründung des Evangelischen Hilfswerks. Am 1. April 1946 nahm es seine Arbeit auf, erster Direktor wurde Johann Schager.
Nach Arbeits- und Kriegsdienst war der gelernte Buchhändler ab 1945 im Evangelischen Landesjugendpfarramt Österreich tätig. Gemeinsam mit dem Wiener Superintendenten Georg Traar rief er das Evangelische Hilfswerk ins Leben und übernahm dessen Leitung. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehörte die Entgegennahme und zielgerichtete Weitergabe von Spenden.
Versorgung in der Nachkriegszeit
An Arbeit fehlte es den freiwilligen Helfer:innen in diesen bedrängten Zeiten nicht. Unermüdlich verteilten sie Lebensmittel- und Sachspenden an die österreichische Bevölkerung und die zahllosen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen. Kurz vor Beginn des Ungarn-Aufstands 1956 brachte Schager noch persönlich Hilfsgüter in das Nachbarland.
Hauptverteilstelle ab 1946 war das ehemalige Waisenhaus in der Hamburgerstraße 3, wo im selben Jahr auch der noch heute bestehende evangelische Kindergarten gegründet wurde. Bald gab es neben der Kleiderverteilstelle sechs Küchen mit Mittagessenausgabe. Lebensmittelpakete wurden an evangelische Heime und Pfarren in ganz Österreich verschickt.
Zwischenkirchliche Hilfe
Die Güter kamen vor allem von hilfsbereiten Kirchen aus Europa und den USA, zu denen Schager sein Leben lang enge Kontakte pflegte. 1963 fuhr er mit seiner Familie zu einer Tagung des Lutherischen Weltbundes nach Finnland. Wie es seiner Bescheidenheit entsprach, übernachteten sie im Zelt auf Campingplätzen.
„Wir durften in diesen Jahren in vielfältiger Weise spüren, wie die Liebe Christi Menschen bereit zu Hilfe und Opfer macht“, fasste Johann Schager seine Erfahrungen einmal zusammen. „Dass diese erfahrene Liebe nun auch weiter in unseren Gemeinden wirksam wird und auch ihrerseits Menschen bereit macht, dem Bruder in der Not zu helfen, das wäre wohl der schönste Lohn und Dank, den wir unseren Freunden und Helfern bieten können.“ Schager war auch viele Jahre ehrenamtlich im Vorstand des bereits 1861 gegründeten Evangelischen Waisenversorgungsvereins tätig. 1966 legt er sein Amt als Direktor des Evangelischen Hilfswerks nieder. Bis zu seinem Tod im folgenden Jahr war er noch für den Suchdienst des Roten Kreuzes aktiv. Ein Leben im vielfältigen Dienst an den Mitmenschen.
Ilse Cicvarek baute die 1862 eröffnete Evangelische Schule am Karlsplatz wieder auf, nachdem sie 1938 von den Nationalsozialisten aufgelöst und 1945 zerstört worden war. (Bildquelle: epd/Archiv)
Ilse Cicvarek war erst 36 Jahre alt, als sie im September 1946 von Superintendent Georg Traar mit einer großen Aufgabe betraut wurde: Sie solle mithelfen, die Evangelische Schule am Wiener Karlsplatz nach den Verheerungen des Zweiten Weltkriegs wieder aufzubauen. Cicvarek zögerte nur kurz, dann übernahm sie die Leitung des Ausweichquartiers in der Hamburgerstraße mit anfangs zwei Volksschulklassen. Von Anfang an verfolgten Traar und Cicvarek aber das große Ziel, das in den letzten Kriegstagen durch Brandlegung zerstörteGebäude am Karlsplatz wieder auferstehen zu lassen.
Die von Theophil Hansen geplante und 1862 eröffnete Schule war weit mehr als ein schönes Bauwerk im historisierenden Stil. Sie stand für ein neues Selbstbewusstsein der evangelischen Kirche in Österreich. Das Protestantengesetz von 1861 sicherte ihr erstmals eine rechtliche Gleichstellung mit der römisch-katholischen Kirche. Den Baugrund hatte Kaiser Franz Joseph als Geste gestiftet. Die Schule genoss bald einen hervorragenden Ruf.
Auflösung der evangelischen Schulen
1938 verfügte das NS-Regime die Auflösung aller konfessionellen Schulen. Das bedeutete auch das Ende für fast 100 evangelische Schulen in Österreich. 1943 wurde die nicht genehme Fachlehrerin Ilse Cicvarek als Zeichnerin zu einem Baueinsatzstab zwangsversetzt. Doch sofort nach Kriegsende forderte sie ihre Wiedereinstellung als Lehrerin in ihrer ehemalige Schule, deren Leitung sie bald übernahm.
Wiederaufbau nach 1945
Im Ausweichquartier in der Hamburgerstraße mangelte es an allen Ecken und Enden: Die Kinder saßen auf alten Schulmöbeln von einem Dachboden. UNICEF versorgte sie mit Suppen, das Evangelische Hilfswerk mit Trockenmilch in Dosen. Im Winter 1947 musste mit geteertem Einschlagpapier geheizt werden.
Der Wiederaufbau des Traditionsgebäudes auf dem Karlsplatz konnte erst 1951 in Angriff genommen werden. Da es unter Denkmalschutz stand, war die Finanzierung nur durch zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen möglich. Aus den USA arbeiteten Freiwillige aus den Reihen der Brethren-Church und der Mennoniten jahrelang mit. Die Kriegsdienstverweigerer leisteten so ihren Ersatzdienst ab. 1961 konnten alle über Wien verstreuten Klassen endlich in das Gebäude am Karlplatz einziehen.
Ilse Cicvarek leitete die Volks- und Hauptschule für Mädchen noch bis 1976. Als sie nach 30 Jahren als Direktorin in Pension ging, übernahm sie eine neue Aufgabe und baute den Kindergarten ihrer Heimatgemeinde auf.
Bildung spielt im Protestantismus eine herausragende Rolle. Alle Gläubigen sollen die Bibel verstehen können. Kirche ohne Bildung ist aus dieser Sicht nicht möglich. Ilse Cicvarek sagte über ihre Arbeit: „In der Rückschau erscheint die Menschenkraft so gering. Gott ist zu danken, der den Mut und den Segen zu diesem Werk und zu diesem Leben gab.“
Vom Mehrbettsaal in ein Einzelzimmer in einer Wohngruppe - Alexandra C. ist Zeitzeugin, wie sich die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen verändert hat. (Bildquelle: Gerhard Maurer)
Seit 70 Jahren lebt Alexandra C. in der Obhut der Diakonie de La Tour in Treffen am Ossiacher See. 1954 zog sie auf Vermittlung eines Wiener Arztes in das erste Heim am Tarmannweg ein. Heute ist sie fast 90 Jahre alt, eine anteilnehmende, selbstbewusste Frau mit wachen Augen und perfekten Umgangsformen. Ihre Geschichte spiegelt die Entwicklung der Institution wider.
Heime in den 1950er-Jahren
Die von Diakonissen geführten Altenheime in Treffen standen von Beginn an allen Menschen offen, die Unterstützung benötigten – unabhängig von Alter und Herkunft. Besonders die Einrichtungen am Tarmannweg waren ein solcher Ort der umfassenden Versorgung. Neben dem Altenheim gab es ein Säuglingsheim, einen Hort und auch Platz für Flüchtlinge.
In den 1950er-Jahren mussten sich bis zu zwölf Personen einen Raum im Heim teilen. Die Diakonissen wohnten in kleinen Kammern, die teilweise in hölzernen Nebengebäuden untergebracht waren. Werkstätten, Holzschuppen und Waschküchen waren fixer Bestandteil jeder Einrichtung, die Küchen oftmals ihr Herz. Der Tarmannweg war auch das spirituelle Zentrum der damaligen Stiftung, dort befand sich der von Gräfin Elvine de La Tour eingerichtete Betsaal in einer ehemaligen Scheune.
Auf dem Weg zur Inklusion
Alexandra C. war Zeitzeugin, wie sich die Arbeit für Menschen mit Behinderungen wandelte: Anfangs arbeitete sie – wie viele Bewohner:innen – mit, wo sie konnte. Erst Anfang der 1970er-Jahre gab es spezialisiertere Einrichtungen mit ausgebildetem pädagogischen Personal. Mehrbettsäle wurden durch kleine Wohngruppen für sechs Personen mit Einzelzimmern ersetzt.
Aus der einfachen Mitarbeit entstanden erste Beschäftigungsangebote für Menschen mit Behinderungen. Am Tarmannweg wurde oft auf beengtem Raum gebastelt und gewerkt, die Erzeugnisse wurden auf kleinen Basaren verkauft. Daraus entwickelten sich Werkstätten, in denen fähigkeitsorientiert gearbeitet wird. Am Tarmannweg gibt es heute mit der Tagesstruktur Monastero auch eine spezialisierte Einrichtung für Menschen im Autismusspektrum. Der alte Gemüsegarten zur Eigenversorgung hat sich in eine Bio-Gärtnerei verwandelt, in der Jugendliche ausgebildet werden.
Alexandra C. wohnt mittlerweile im Haus Elim am Tarmannweg. Es ist eine spezialisierte Einrichtung, wo Menschen mit Behinderungen im Alter pflegerisch und pädagogisch begleitet werden. Das Haus Elim war die erste Einrichtung dieser Art in Kärnten. Der Blumengarten des Hauses ist laut langgedienten Mitarbeiter:innen noch genauso schön wie jener der Diakonissen.
Alexandra C. hat viele von ihnen erlebt – die Schwestern Berta, Henriette, Maria, Wilma, Blandine und von 1960 bis 1995 die unvergessliche Schwester Ingrid. Sie alle haben sich liebevoll um Alexandra C. gekümmert und ihr einen sicheren Rahmen geboten, in dem sich ihr Leben entfalten konnte.
„Ihre humorvolle und fröhliche Art hat allen Mitschwestern wohlgetan“, heißt es von der Diakonisse Ottilie Schrempf. 1957–1981 hat
sie im Krankenhaus und Pflegeheim Dienst geleistet.(Bildquelle: Historisches Archiv Diakoniewerk Gallneukirchen)
Wie viele Handgriffe hat Schwester Ottilie Schrempf im Laufe ihres 96-jährigen Lebens wohl für andere getan? Sie selbst hat sie bestimmt nicht gezählt, sie waren ihr einfach selbstverständlich. Ottilie Schrempf entstammte einer Bauernfamilie in der Ramsau. Schon sehr früh musste sie ihren Geschwistern die Mutter ersetzen und damit große Verantwortung übernehmen. Sie hat sich darüber nie beklagt.
Mit 30 zur Diakonisse
Erst als ihre familiäre Aufgabe erfüllt war, trat sie im Alter von 30 Jahren ins Mutterhaus Bethanien in Gallneukirchen ein. 1957 wurde sie dort zur Diakonisse eingesegnet. Den Weg, den sie einschlug, hätte sie sich in ihrer steirischen Kindheit und Jugend wohl kaum vorstellen können. Drei Jahre lang besuchte sie die Krankenpflegeschule in Stuttgart. Später absolvierte sie auch den Stationsschwesternlehrgang an der Schwesternhochschule in Berlin.
Die wichtigsten Einsatzorte von Schwester Ottilie waren die Diakonissen-Krankenhäuser in Linz und Schladmig sowie mehrere Jahre lang das Altersheim in Graz. Als sie 1981 in den Ruhestand trat, übernahm sie noch die Verantwortung im Haus Abendfrieden in Gallneukirchen, wo sie 2018 verstarb.
Offenes Ohr für neue Ideen
Diakon Paul Eibl, der 1969 als erster Mann seinen Dienst als Pfleger im Schladminger Krankenhauses antrat, erinnerte sich später an seine erste Oberschwester Ottilie Schrempf als eine „sehr liebenswürdige“, um Wohlergehen aller Patient:innen und Mitarbeiter:innen bemühte Leiterin: „Ich kam frisch aus dem Nürnberger Klinikum, das wohl eines der modernsten Krankenhäuser war, nach Schladming. Ich war jung und hatte natürlich den Kopf voller Ideen und Vorschläge für Modernisierungen und Veränderungen. Ich rechne es Schwester Ottilie hoch an, dass sie immer ein offenes Ohr hatte und so manche Vorschläge von mir zuließ.“
Der rote Faden ihres Lebens war der Dienst an Menschen – zuerst innerhalb der Familie, dann an Kranken, Alten und auch an ihren Mitschwestern. „Ihre humorvolle und fröhliche Art hat allen Mitschwestern wohlgetan. Immer wieder überraschte sie uns mit Liedern und Gedichten aus ihrer Jugendzeit“, heißt es in ihrer Todesanzeige. Wer Ottilie Schrempf begegnete, war von ihrer mütterlichen Ausstrahlung berührt.
Die Bauerntochter aus Ramsau ist mehrmals übersiedelt und hat die Aufträge ihrer Gemeinschaft überall warmherzig, lernwillig und gewissenhaft erfüllt. Diakonissen entscheiden sich aus ihrem Glauben heraus für ein Leben in Bescheidenheit und im Dienst an anderen. Sie zählen ihre Handgriffe nicht.
Rudolf Siegrist und Emma, geb. Kaspar, heiraten 1952 in der Schweiz. 1961 gehen sie für geplante zwei Jahre nach Linz – und bleiben. 1963 beginnen sie im Auftrag des Magistrats die Arbeit mit Mädchen, das Diakonie Zentrum Spattstraße wird gegründet. (Bildquelle: Diakonie Zentrum Spattstraße)
Menschen, die sich auf Neuland vorwagen, haben meist eine Vorstellung davon, was sie zu finden hoffen – wie Rudolf und Emma Siegrist, die 1963 das Diakonie Zentrum Spattstraße gründeten und zu einem Leuchtturmprojekt der Reformpädagogik machten.
Rudolf Siegrist wurde 1927 in der Schweiz geboren. Er war oft krank und ein schlechter Schüler. Doch seine Mutter stärkte ihm den Rücken und lehrte ihn, dass Milieu kein Schicksal sein muss, wenn ein Kind wohlwollend begleitet wird.
Siegrist wurde erfolgreicher Tischler und Architekt. Mit Emma, die er 1952 heiratete, leitete der begeisterte Pfadfinder die Jugendarbeit seiner methodistischen Gemeinde. Wohlstand war dem Paar als Lebensziel nie genug.
Von der Schweiz nach Linz
Ein tödlicher Verkehrsunfall, den er verur[1]sacht hatte, erschütterte Rudolf Siegrist: „Die Erfahrung eigener Schuld veränderte sein Verhältnis zu Gott und den Mitmenschen“, sagte sein späterer Weggefährte Wilhelm Nausner, Sohn des Pastors der Methodistenkirche Linz. Das Ehepaar lernte die Familie Nausner kennen, als es ein Sommerlager für 20 Linzer Kinder in der Schweiz organisierte.
1961 lud Wilhelm Nausner den Architekten ein, das desolate Burschenheim in der Spattstraße – von der Gemeinde 1956 für Ungarn-Flüchtlinge eingerichtet – zu renovieren und einer neuen Bestimmung zuzuführen. Zwei Jahre wollten Rudolf und Emma Siegrist in Linz bleiben, doch sie kehrten nie mehr in die Schweiz zurück.
Erstes offenes Heim
Da der katholische Oblatinnen-Orden sein Heim für schwer erziehbare Mädchen in Linz kurz zuvor aufgegeben hatte, wollte das Paar diese Versorgungslücke schließen, aber mit einem völlig neuen pädagogischen Anspruch: Sie gründeten das erste offene Heim Österreichs. Keine geschlossene Verwahranstalt mehr, sondern ein Ort des vertrauensvollen Umgangs zwischen Erzieher:innen und Jugendlichen, geführt nach der Idee „helfen statt strafen“.
Die Siegrists waren pädagogische Quereinsteiger, doch sie vertieften sich in Fachliteratur, nahmen an Tagungen teil und besuchten 20 vorbildliche Heime in Europa. Unter Rudolf Siegrists Leitung erlebte die „Spatti“ eine explosionsartige Entwicklung. Schon früh arbeiteten hier Sozialpädagog:innen und Therapeut:innen Hand in Hand, ständig wurden neue Angebote entwickelt.
Rudolf Siegrist war zupackender Pionier und Heimleiter, für viele Menschen auch Ersatzvater. Mit Charisma spornte er Mitstreiter zu großen Leistungen an. Seine Vorstellung der „Bereitschaft zum Dienen“ mündete aber auch in Selbstausbeutung und enormen Ansprüchen an Mitarbeiter:innen.
Er selbst wohnte in der „Spatti“ und zeigte keinerlei Verständnis für „Feiertagsmentalität“. Wie ein Bußprediger donnerte er auch gegen seine eigene Kirche, wenn sie in seinen Augen säumig war.
Seine starke Persönlichkeit polarisierte, an ihr schieden sich die Geister. Emma Siegrist teilte die Überzeugungen ihres Mannes, trat aber immer diplomatischer auf, konnte sehr gut verhandeln und moderieren. Ihr gemeinsames Lebenswerk umfasst heute mehr als 1.000 Mitarbeiter:innen, die 3.500 Kinder und Jugendliche betreuen.
Als erster Direktor der Diakonie Österreich nach ihrer Neugründung 1968 positionierte Pfarrer Ernst Gläser die Diakonie in der sozialen Landschaft in Österreich und gab ihr öffentlich eine Stimme. (Bildquelle: Diakonie Archiv)
Pioniere haben die Kraft, Grenzen zu überschreiten, Neuland zu betreten und es nach ihren Wertvorstellungen zu gestalten. Pfarrer Ernst Gläser gehörte zu diesen Ausnahmeerscheinungen. Getragen von seinem persönlichen Glauben, einer zutiefst christlichen Haltung und einem liebevollen Blick auf alle Menschen, nahm er den griechischen Begriff Diakonie beim Wort und lebte ihn als „Dienst“ am Nächsten.
Ende der 1960er-Jahre dämpften der Vietnam-Krieg, die Niederschlagung des Prager Frühlings und das Wettrüsten der Supermächte die Hoffnungen auf eine friedlichere Welt. Die Wirtschaftswunderjahre mündeten in erste Krisen. Das junge Medium Fernsehen rückte globale Nöte verstärkt ins Bewusstsein. Der aus Heidenpiltsch in Mähren stammende Theologe Ernst Gläser hatte für all diese Entwicklungen einen wachen Blick.
Gesicht und Stimme der Diakonie
Als das Diakonische Werk für Österreich (heute Diakonie Österreich) 1968 neu gegründet wurde, um die bestehen den Einrichtungen zu vernetzen und ihnen österreichweit eine klar vernehmbare Stimme zu verleihen, wurde Ernst Gläser erster Direktor. Rasch fand er einen Weg, dieses neue Amt mit Leben zu erfüllen und die Innere Mission zur Diakonie in ihrer heutigen Form weiterzuentwickeln. Bis zu seiner Pensionierung 1994 war Ernst Gläser das Gesicht der Diakonie und eine sozialpolitische Autorität in der öffentlichen Diskussion.
Eine seiner ersten Amtshandlungen war 1969 die Gründung der Diakonie Katastrophenhilfe. Dutzende Male setzte sich Gläser auch persönlich an das Steuer vollbeladener Busse, um Hilfsgüter über miserable Straßen zu den Opfern von Naturkatastrophen zu bringen. Einmal geriet er dabei sogar in ein Nachbeben.
1974 rief der Diakonie-Direktor gemeinsam mit ehrenamtlichen Helfer:innen die Johanniter-Unfall-Hilfe ins Leben. 1972–1975 war er maßgeblich an der Einführung des heute nicht mehr wegzudenkenden Zivildienstes und 1993 des Pflegegelds beteiligt. Gläser entwickelte einen Vorläufer des Spendengütesiegels und engagierte sich für den Aufbau eines seelsorgerischen Angebots für Gastarbeiter
Ein Pfarrer von Welt
Internationales war ihm wichtig, er ist viel gereist. Als Vorstandsmitglied des Europäischen Verbandes für Innere Mission war er wichtiges Bindeglied zu den Schwesternkirchen jenseits des Eisernen Vorhangs. Besonders die DDR besuchte er oft. 1977–1984 vertrat er Österreich in der Weltdienstkommission des Lutherischen Weltbunds. Gläsers internationale Vernetzung mit kirchlichen Institutionen und Hilfsorganisationen erweiterte die Möglichkeiten der Diakonie.
Trotz all seiner großen Leistungen und Visionen war Ernst Gläser kein Mann, der sich in die erste Reihe drängte. Seine Weggefährten beschreiben ihn als bescheiden, liebenswürdig, humorvoll. Er selbst nannte sich mit dem für ihn typischen Augenzwinkern einen „etwas frechen Menschen“. In seinem Herzen blieb er immer der evangelische Pfarrer, der sich um eine besonders große, in diesem Fall weltumspannende Gemeinde sorgt.
Von der Technik in die Pflege - der Zivildienst im Diakonie-AltenhVon der Technik in die Pflege - der Zivildienst im Diakonie-Altenheim Purkersdorf war die entscheidende Weichenstellung im Leben von Robert Damjanovic. (Bildquelle: Diakonie)
45 Prozent aller jungen Österreicher entscheiden sich heutzutage für den Zivildienst. Ihre Arbeit vor allem im Rettungswesen, in der Sozial- und Behindertenhilfe, in der Altenbetreuung ist unverzichtbar und selbstverständlich geworden. Dabei wurde die Möglichkeit eines waffenlosen Dienstes an der Allgemeinheit erst vor rund 50 Jahren ins Leben gerufen. Eine der treibenden Kräfte der Diskussion von 1972-75 war Pfarrer Ernst Gläser, damals Direktor der Diakonie Österreich. Und einer der ersten Zivildiener in der Diakonie war Robert Damjanovic.
Der 1953 in Salzburg Geborene absolvierte im Sommer 1972 die ersten drei Monate des Wehrdienstes beim Bundesheer und war danach fest entschlossen, die weiteren fünf Monate im Folgejahr zu verweigern. Sein Vater war Kriegsinvalide, sein Antrag fundiert begründet, er wurde angenommen: „Zu meiner Überraschung wurde ich auch nicht zur kommissionellen Gewissensprüfung vorgeladen.“
Aktivist für den Zivildienst
Das Zivildienstgesetz wurde im März 1974 beschlossen und trat im Jänner 1975 in Kraft. Bis dahin engagierte sich Damjanovic, der an der Boku in Wien „Kulturtechnik und Wasserbau“ studierte, als Aktivist und verteilte vor dem Stellungsgebäude im 18. Bezirk Informationsblätter. Das Studium war auch der Grund, warum er die offenen fünf Monate Zivildienst erst im Sommer 1979 antrat. Das Ministerium wollte ihn zum „Packlschupfen“ bei der Post einteilen, Pfarrer Gläser konnte ihm eine Stelle im Diakonie-Altenheim Purkersdorf vermitteln.
Es war die entscheidende Weichenstellung im Leben von Robert Damjanovic. Er war tief beeindruckt von der einwöchigen Grundausbildung für Zivildiener, die Gläser in Gallneukirchen organisierte, und von den dort vermittelten diakonischen Werten. Aus fünf Monaten wurden fünf Jahre. Damjanovic lernte im Heim seine Frau kennen und absolvierte mit ihr die Ausbildung zur Pflegehilfe am Wilhelminen-Spital.
Ein Leben für die Altenhilfe
Nach der Schließung des Sanatoriums Purkersdorf und dem Tod der Mutter zog Damjanovic zurück in seine Geburtsstadt Salzburg. Er arbeitete in einem Zivilingenieur-Büro, bis ihn Pfarrer Volker Toth ermunterte, für den Diakonieverein Salzburg eine mobile Altenhilfe aufzubauen.
Später wurde dieses Angebot vom Diakoniewerk übernommen. 1989 nahm eine erste Altenhelferin die Arbeit auf, wenige Jahre später sollten es schon 30 sein. Anfangs diente Damjanovics Wohnung als Büro, dann wurde es in das alte Diakonissen-Krankenhaus verlegt und Damjanovic in Teilzeit angestellt. Er wurde in die Fachgruppe Altenarbeit der Diakonie Österreich eingeladen, deren Leitung er bald übernahm, und war an der Ausarbeitung eines Leitfadens zur Mitarbeiter:innen-Schulung beteiligt.
Bis Mai 2016 blieb Robert Damjanovic Leiter der Diakonie.mobil Salzburg, bis heute ist er als diözesaner Diakonie-Beauftragter der Evangelischen Kirche Salzburg-Tirol ehrenamtlich engagiert. Gelebte Nächstenliebe wurde zum roten Faden seines Lebens.
Willibald Lassenberger arbeitete von 1979 bis 2009 im Atelier de La Tour. Er nahm an zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen teil. (Bildquelle: Diakonie de La Tour)
Ein dreibeiniger Gockel ziert das Logo des Ateliers de La Tour. Der wundersame, bunte Vogel wurde von Willibald Lassenberger gestaltet, der mit seinem ungewöhnlichen Talent den Anstoß zur Gründung dieser Kunstwerkstatt in Treffen am Ossiacher See gab. Der Gockel wurde auf Postkarten gedruckt. Eine davon erreichte den Heidelberger Professor Max Kläger, der sich schon in den 1970er-Jahren mit der Kunst von Menschen mit geistiger Behinderung auseinandersetzte. Er bestätigte Lassenbergers großes Talent und begleitete bis 2009 die weitere Entwicklung des Ateliers als Berater und Dokumentar.
Gaben wachsen lassen
Bis heute können bildnerisch talentierte Menschen mit Behinderungen im Atelier de La Tour zu Künstler:innen heranreifen und ihre Gaben wachsen lassen.
Willibald Lassenberger wurde 1952 mit Down-Syndrom in Klagenfurt geboren. Da ihm damals ein Schulbesuch verwehrt blieb, übersiedelte er 1973 in die Stiftung der Gräfin Elvine de La Tour. Dort fiel sein unwiderstehlicher Drang zum Zeichnen und Malen auf. Die Idee für das Atelier war geboren. 1980 wurde es als eine der ersten Einrichtungen dieser Art in Österreich eröffnet. Menschen mit Behinderungen wurden in der Vergangenheit oft stigmatisiert und zur reinen Verwahrung weggesperrt. Willibald Lassenberger öffnete mit seinen Werken die Augen für ihr reiches Innenleben und Wege zu mehr Verständnis und Inklusion. Im Rahmen des Ateliers entfaltete Lassenberger seinen ganz persönlichen Stil, mit kräftigen, an den Expressionismus erinnernden Farben, markanten Konturen und oft symmetrischen Darstellungen.
Ehrenzeichen des Landes Kärnten
Ob gekreuzigter Jesus oder Krampus, ob Polizeiauto oder Sonne – Lassensbergers Ausdruckskraft schlug sich in zahllosen Werken auf Papier und Holz nieder. Er arbeitete mit Pastellölkreiden, Filzstiften, Deck- und Temperafarben. Er tauchte tief in die Welt seiner Bilder ein und schlüpfte manchmal auch in passende Verkleidungen. Seine Werke fanden Anerkennung, wurden in zahllosen Ausstellungen gezeigt. 1998 wurde ihm das Ehrenzeichen des Landes Kärnten verliehen.
Lassenberger verstarb 2017. Seine Erbe besteht nicht nur aus seinem umfangreichen Lebenswerk, sondern auch aus dem Bewusstwerden, welchen ideellen Reichtum ein bedingungslos menschenannehmendes Miteinander hervorbringt, wie es im Atelier de La Tour gelebt wird.
Peter Wiegand gründetete 1980 Diakonie in der Gemeinde – aus persönlicher Betroffenheit: Es gab im Bezirk Kirchdorf in OÖ keine Einrichtung für Menschen mit Behinderungen, die seine Tochter nach der Sonderschule betreuen hätte können. (Bildquelle: Foto Hochreiter-Meidinger, Windischgarsten)
Peter Wiegand wurde 1936 in Hamburg geboren. Sein Vater fiel im Krieg, die Witwe hatte Mühe, die vier Kinder durch die Kriegs und Nachkriegszeit zu bringen. Sohn Peter begann eine Handelslehre, ehe er durch einen englischen Major mit dem Evangelium in Berührung kam und sein Leben eine Wende nahm: Er engagierte sich zuerst nebenberuflich in der evangelischen Jugendarbeit in Hamburg, studierte schließlich Theologie im zweiten Bildungsweg und nahm eine Berufung als Jugendwart und Religionslehrer der evangelischen Kirche in Schladming an.
1963 begann Peter Wiegand gemeinsam mit seiner Frau Runhild und einem kleinen Team mit der Renovierung des baufälligen Schlosses Klaus im Bezirk Kirchdorf in Oberösterreich. An diesem Ort entstanden auf seine Initiative hin ein christliches Jugendfreizeitzentrum und ein Haus für Erwachsenenbildung, die er bis zum Jahr 2000 leitete.
Aus persönlicher Betroffenheit
Als seine zweite Tochter Birgit kurz vor Abschluss der Sonderschule stand, gab es im gesamten Bezirk keine bestehende Einrichtung für Menschen mit Behinderungen, die sie nun so dringend benötigt hätte. Wiegand rief daher 1980 kurz entschlossen eine weitere Einrichtung ins Leben, die Diakonie in der Gemeinde (DIG). Er sagte dazu: „Wir hatten in den Eltern der Kinder mit Beeinträchtigungen die wahren Helden kennengelernt, die sich der großen Herausforderung gestellt hatten, ihr behindertes Kind ohne fachkundige Hilfe zu betreuen. Aber ihnen wird nirgendwo ein Denkmal gesetzt. Gleichzeitig hatten wir viele Male erfahren, wie nahe Gott kommt, wo Not und Leid und Gedankenlosigkeit anderer Menschen Distanz schaffen.“
Schneller als die Behörden dachten
Was sich daraus entwickelte, ging viel schneller, als es die Behörden erwartet und die Betroffenen erhofft hatten: Mit ehrenamtlichen Helfern aus dem Freundeskreis von Schloss Klaus wurde ab 1980 eine erste Tagesbetreuung für Menschen mit Behinderung angeboten. Was ganz klein in den Wohnzimmern zweier Familien und dann im evangelischen Gemeindesaal in Kirchdorf begann, ist heute eine für die Region unverzichtbare Einrichtung mit vier gut ausgestatteten Standorten, über 40 Mitarbeiter:innen und rund 100 Betreuungsplätzen. Hier werden Menschen mit Behinderung wertschätzend und in zeitgemäßer Weise begleitet.
Der Name Diakonie in der Gemeinde steht für die von Wiegand als selbstverständlich gedachte Verbindung der diakonischen Arbeit mit den Pfarrgemeinden vor Ort: „Von Anfang an wurde die Mission der Kirche nicht nur in der Verkündigung des Wortes, sondern auch in der Tat der Barmherzigkeit als Wirken der beiden Hände Christi verstanden: Die eine Hand gibt das Wort, die andere Hand gibt das Brot und hilft in der Not.“ Mit der DIG hinterlässt Peter Wiegand ein Erbe, das aus persönlicher Betroffenheit und einer tiefen Glaubensbeziehung zu Jesus Christus entstand, und das bis heute Kreise über die Region hinaus zieht.
Kinder- und Jugendpsychiater Primar Werner Gerstl sah in den Kindern und Jugendlichen den ganzen Menschen. (Bildquelle: Diakonie Zentrum Spattstraße)
„Er konnte die Welt mit Kinderaugen sehen“, sagten Weggefährten über Werner Gerstl. Kann es ein schöneres Kompliment für einen Kinderarzt und einen der ersten Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Österreich geben? Werner Gerstl, 1944 in Wien geboren, studierte Medizin und absolvierte seine Turnusausbildung in Linz. Seelisch verletzte Kinder fanden in ihm einen interessierten und geduldigen Betreuer. Gerstl war einer der Pioniere auf diesem schwierigen Gebiet.
1982 lernte er bei einem Vortrag in Gallneukirchen den charismatischen Gründer des Diakonie Zentrums Spattstraße, Rudolf Siegrist, kennen, der ihn rasch für eine Mitarbeit gewinnen konnte. Als anerkannter Arzt war Gerstl 1983 maßgeblich am Aufbau des Sonderkrankenhauses für Kinder- und Jugendpsychiatrie in der „Spatti“ beteiligt. Vier Jahre später wurde er von Rudolf Siegrist als Nachfolger eingesetzt.
Diese Entscheidung enttäuschte manche Mitarbeiter:innen, die andere Idealbesetzungen gesehen hätten. 1989 kam es zum offenen Konflikt und zu einer Reihe von
Kündigungen. Um Gerstel zu entlasten – er war seit 1985 auch Primar der von ihm angeregten Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Kinderspital Linz –, wurde ihm Gottfried Fux als kaufmännischer Direktor zur Seite gestellt, Gerstl konnte sich ganz auf die ärztliche Leitung konzentrieren.
Nach der Konsolidierung erlebte das Diakonie Zentrum Spattstraße eine Phase des kontinuierlichen Ausbaus. Das multidisziplinäre Konzept führte zu einem vielfältigen Angebot mit heilpädagogischem Kindergarten, Tagesklinik, Familienberatungsstelle, Ambulanz, Heilstättenschule, Frühförderung und Schulassistenz. Die Kinder- und Jugendpsychiatrie bezog ein neues Gebäude. Die Zahl der Mitarbeiter:innen stieg bis zu Gerstls Pensionierung im Jahr 2009 von 45 auf rund 580.
Gesundheit als soziale Frage
In der „Spatti“ konnte Gerstl viele seiner Vorstellungen verwirklichen. Er sah in den Kindern und Jugendlichen nicht Krankheit oder Behinderung, sondern immer den ganzen Menschen. Er wollte nie akzeptieren, dass sie von der Gesellschaft abgekoppelt werden. Gesundheit war für den gläubigen Arzt eine medizinische und zugleich eine soziale Frage, deswegen kümmerte er sich auch stets um das familiäre Umfeld: „Unser Leitsatz war immer: Eltern sollen Eltern bleiben. Lasst uns nur jenen Teil behandeln, den die Eltern nicht schaffen.“
Auch die in der „Spatti“ schon früh angebotene professionelle Unterstützung der Mitarbeiter:innen war Gerstl wichtig. „Denn je mehr man als Betreuer fachlich unterstützt wird, umso mehr an Qualität kann man weitergeben.“
Werner Gerstl hatte eine schier unerschöpfliche Kraft, auf Kinder und Jugendliche zuzugehen, besonders auf kranke, depressive, verzweifelte, auf Kinder mit Essstörungen und Missbrauchserfahrung. Es ging ihm immer um konkrete Lösungen. Denn: „Kinder sind unsere Zukunft und die Hoffnung, dass die Welt anders wird, als sie ist.“
Werner Gerstl verstarb 2019. Er hat die soziale Landschaft Oberösterreichs entscheidend geprägt und wurde dafür mit dem Goldenen Ehrenzeichen des Landes ausgezeichnet.
Ihr Name wurde zum Programm: Geflüchtete sagten, „wir gehen ins Hennefeld“, wenn sie die Rechtsberatung des Diakonie Flüchtlingsdienstes aufsuchten. (Bildquelle: Diakonie)
Wenn ein Nachname zum Synonym für eine Institution wird, spricht das für den enormen Einsatz dieser Person: „Wir gehen ins Hennefeld“, sagten Flüchtlinge Ende der 1980er-Jahre, wenn sie zur Rechtsberatung im Gemeindesaal der Evangelischen Pfarrgemeinde Traiskirchen vorsprachen. Gemeint war Gertrude Hennefeld.
Die Juristin wurde im Mai 1989 mit der dortigen Flüchtlingsberatung betraut. Sie war die erste Angestellte in der Flüchtlingsarbeit der Diakonie, baute unter oft chaotischen Bedingungen eine hochprofessionelle Rechts- und Sozialberatung auf und leitete die Stelle bis zu ihrer Pensionierung 2003.
Pfarrgemeinde öffnet ihre Türen
1988 hatte Pfarrerin Christine Hubka spontan die Tore der evangelischen Kirche in Traiskirchen geöffnet. Sie konnte nicht länger zusehen, wie Asylsuchende auf der Straße vor dem überfüllten Flüchtlingslager übernachteten. Das (Kirchen)Dach über dem Kopf war aber schon bald nicht genug, für die zahllosen Fragen der Menschen wurde eine Juristin gesucht.
Hennefeld bewarb sich.
Gertrude Hennefeld wurde 1943 in Wien geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters zog ihre Mutter die Kinder alleine auf. Trotz der Not der Nachkriegsjahre hieß sie jeden Gast willkommen, teilte das Vorhandene. Ihre Tochter studierte Jus, heiratete den aus Ungarn geflüchteten Stefan Hennefeld und bekam zwei Söhne. Die Arbeit in einer Anwaltskanzlei erfüllte sie nicht. Nach einem Sabbatjahr und ihrem Engagement bei Amnesty International wurde sie auf die Stelle in Traiskirchen aufmerksam gemacht.
Tun, was gepredigt wird
Hennefeld erinnert sich an ihre Anfänge: „Die Gründung der Flüchtlingsberatungsstelle war die Antwort auf eine Frage: ‚Nehmt ihr das, was ihr innerhalb der Kirche predigt, tatsächlich ernst?‘ Pfarrerin Hubka und die ganze Kirche entschlossen sich zu einem Ja. Wir mussten erst lernen, was die Asylsuchenden bewegte, was sie benötigten, um wieder ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Oft begleiteten wir sie in Extremsituationen und teilten mit ihnen nicht nur Essen, sondern vor allem die Ängste und das Gefühl der Ohnmacht.“
Als Hennefeld in großer Sorge um einige ihrer Schützlinge war, gab ihr eine Freundin einen Rat, der ihr sehr wichtig wurde: „Hab keine Angst. Es ist wie in der Physik: Energie geht nicht verloren.“ Häufig wurde sie gefragt: „Wie soll ich Ihnen nur danken?“ Ihre Antwort: „Geben Sie von dem, was Sie bekommen haben, an andere weiter.“
Gertrude Hennefeld wurde 1993 – gemeinsam mit Christine Hubka – mit dem Bruno-Kreisky-Menschenrechtspreis und 2002 mit dem Ute-Bock-Preis ausgezeichnet.
Elizabeth Carol Unger ließ sich nicht nur begeistern von einem Vortrag über mobile Hauskrankenpflege, der in der evangelischen Kirche gehalten wurde, sie brachte die Idee auch auf den Boden. (Bildquelle: Privat)
Mein Name ist Elizabeth Carol Unger. Ich stamme aus New York. Eigentlich wollte ich Opernsängerin werden, habe Gesang und Pädagogik studiert. Bald erkannte ich aber, dass es für eine Karriere nicht reichen würde. Nach dem Studium wollte ich die Welt sehen, Musik unterrichten, mich kirchlich engagieren. Mir wurden drei Missionsschulen angeboten: Japan, Kalkutta oder Istanbul. Ich entschied mich für die Türkei. Dort lernte ich meinen Mann kennen, einen Österreicher.
Wir wussten nicht, wo wir leben wollten, und blieben 17 Jahre lang in Istanbul. Ich habe dort drei Kinder geboren. Als der erste Sohn ins Schulalter kam, war eine Entscheidung fällig: Meinem Mann zuliebe zogen wir zu seinen Eltern nach Wolfau im Burgenland, zwei Jahre später nach Bad Tatzmannsdorf. Meine Qualifikationen wurden leider nicht anerkannt, ich blieb bei den Kindern. Es war enttäuschend, schuf aber Raum für die Diakonie.
Bei einem Vortrag in unserer evangelischen Kirche stellte Dr. Roland Böbel in den 1980er-Jahren die Idee der Hauskrankenpflege vor. Alle waren begeistert, aber nichts geschah. Als er im nächsten Jahr wiederkam, sagte ich: „Wenn wir jetzt nicht starten, starten wir nie.“ Ich hatte keine Qualifikation als Pflegerin, war aber durch meinen Vater, der in Florida zu Hause betreut wurde, gut über die Abläufe informiert. Im Burgenland gab es noch keine Regelungen, wer was machen darf. Ich fand Krankenschwester Ruth Schuh, die ab 1989 zehn Stunden pro Woche ehrenamtlich für uns tätig wurde und mir alles beibrachte: Patienten waschen, Katheter wechseln etc.
Bald zeigte sich der enorme Bedarf an mobiler Pflege. Aus der ganzen Umgebung von Oberschützen kamen Anfragen. Wir brauchten immer mehr Schwestern. Durch ein zinsloses Darlehen des Superintendenten konnten wir erste Pflegeausrüstung kaufen. Eine Erntedank-Kollekte finanzierte das erste Dienstauto. Als das Burgenland Pflegevoraussetzungen einführte, musste ich aus dem aktiven Dienst ausscheiden. Ich habe dann die Geschäftsführung der rasch wachsenden Organisation übernommen.
Hauskrankenpflege, mein viertes Kind
Anfangs war ich zehn Stunden angestellt, dann 15, erst in den letzten Jahren 40 Stunden. Entsprechend gering ist meine Pension. Aber Geld ist nicht alles. Die mobile Hauskrankenpflege ist wie mein viertes Kind, dessen Wachsen ich begleiten durfte. Was sich daraus entwickelt hat, ist unglaublich: Heute hat die Diakonie Hauskrankenpflege mehr als 40 Mitarbeiter:innen und 22 Dienstfahrzeuge, um Alte, Kranke und Behinderte in ihrer häuslichen Umgebung zu betreuen.
Als erste Frau und Vertreterin einer kleinen Organisation wurde ich in den Diakonischen Rat gewählt, das österreichweite Gremium der Diakonie. Im Kreis der einflussreichen Rektoren großer diakonischer Werke übernahm ich die Rolle, alles infrage zu stellen. Ich glaube, ich war wirklich lästig. Aber sie haben mich 12 Jahre lang toleriert.
Ich habe das Wachsen der Diakonie miterlebt. Das war großartig. Ich freue mich, an all dem mitgewirkt zu haben.
Schulassistenz war für Helene Fritsch unabdingbar für eine gute Schul- und Ausbildung, der Schlüssel zu Inklusion. (Bildquelle: Mathy Winkler communications & consulting OG)
Helene Fritsch und ihr Mann Markus betreiben ein modernes Therapiezentrum in Linz. Das im Corona-Auftaktjahr 2020 gegründete Start-up stellt Therapeut:innen vier vollausgestattete, barrierefreie Praxisräume für ihre Arbeit zur Verfügung. Ein teurer, robotergestützter Gangtrainer hilft Patient:innen dabei, durch gleichmäßige Wiederholungen das Gehen wieder zu erlernen. Helene und Markus Fritsch sind selbst gehbeeinträchtigt und hatten die Idee zur Firmengründung während ihrer Reha-Aufenthalte.
Dass Helene Fritsch ihr Leben und die Verwaltung des eigenen Unternehmens heute selbstständig und erfolgreich meistern kann, erfüllt einen für sie ganz besonderen Menschen mit Stolz und Dankbarkeit: Doris Auberger, Schulassistentin im Diakonie Zentrum Spattstraße, hat seit 1996 Helenes Weg 15 Jahre lang im wahrsten Sinn des Wortes begleitet – vom Kindergarten bis zur Matura in der Handelsakademie Rohrbach.
Inklusion ermöglichen
Die heute 30-jährige Helene hat seit Geburt eine Bewegungsstörung, die ihre Beine betrifft. Um ihr trotzdem den Kindergartenbesuch zu ermöglichen, engagierten ihre Eltern Doris Auberger, anfangs als private Stützkraft. Sie wich nicht mehr von Helenes Seite.
„Sie war das Bindeglied, damit ich an allem teilhaben konnte“, erinnert sich Helene Fritsch. „Das geht nicht, habe ich von Doris nie gehört.“
Als das Mädchen in die Volksschule wechselte, war Doris Auberger bereits angestellte Schulassistentin der „Spatti“, wie das Diakonie Zentrum Spattstraße liebevoll genannt wird. Damit war Helenes weitere Betreuung während der Schulzeit gewährleistet. Am Zusammenspiel des bewährten Teams änderte sich nichts: Auberger blieb Helenes unentbehrliche Stütze im Unterricht, bei Praxistagen in Übungsfirmen, bei Schulausflügen. Sie half ihr auch durch die schwierige Hauptschulzeit, in der Helene Mobbing erleben musste.
Doris Auberger ist überzeugt davon, dass eine gute Ausbildung das Um und Auf für Menschen mit Behinderung ist und der Schlüssel zur Inklusion.
Die „Spatti“ widmet sich der bedarfsgerechten Therapie und Begleitung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sowie deren Familien in Krisen und Notsituationen. Die Schulassistenz ist eines der Angebote des Diakonie Zentrums. Schulassistent:innen unterstützen Kinder mit Behinderungen, Entwicklungsverzögerungen oder Schwierigkeiten im Sozialverhalten, damit sie am Unterricht teilnehmen können und Zugang zu Bildung bekommen. Sie sind für die Kinder da, bieten ihnen eine stabile einfühlsame Beziehung und emotionale Sicherheit für einen guten Lernerfolg.
Helene Fritsch hat davon profitiert. Der Kontakt zu ihrem „Engel“, wie sie Doris Auberger gerne nennt, ist nie abgebrochen.
„Sie ist einfach ein liebenswerter, warmherziger und hilfsbereiter Mensch. Doris hat einen ungezwungenen Umgang und eine offene Ausstrahlung. Sie hatte nie Berührungsängste.“
Damit ist genau beschrieben, was es braucht, damit sich ein Leben trotz Problemen voll entfalten kann.
Solidarität, Teilen, aus Notlagen lernen - das hat Veronica Handl als junge Frau in den Gefängnissen der argentinischen Junta gelernt. Und 20 Jahre lang in der Flüchtlingsarbeit in Österreich gelebt. (Bildquelle: Diakonie)
Mein Name ist Veronica Handl. Ich wurde 1952 in Argentinien geboren. Dorthin war mein Vater als Wiener Jude 1938 geflohen. Als junge Frau wurde ich von der Militärjunta inhaftiert und gefoltert, um an Informationen über meine Arbeitsstelle in der mexikanischen Botschaft zu kommen. Zwei Jahre lang war ich „verschwunden“. Dank einer Intervention von Amnesty International konnte ich 1979 ausreisen. Heute lebe ich in Wien, der Geburtsstadt meines Vaters. Mein Sohn Pablo, den ich im Gefängnis geboren habe, hat sich in Brasilien niedergelassen.
Im Gefängnis Solidarität gelernt
Ich war nie wieder in Argentinien. Dort würden nur böse Erinnerungen wach, die mich auch hier regelmäßig einholen. Meine Erfahrungen im Gefängnis haben mich vieles gelehrt: Solidarität, Teilen, aus Notlagen lernen. Dass Menschen an meiner Stelle gestorben sind, ist für mich der schlimmste Gedanke. Ich trage ihn immer mit mir. Mit diesem Schuldgefühl lebe ich. Dabei bin ich grundsätzlich ein fröhlicher Mensch. Hoffnung gibt mir Kraft. Sie scheint zerbrechlich zu sein, aber das ist sie nicht. Sie ist stark und schön.
20 Jahre lange hatte ich das Glück, in der Flüchtlingsarbeit tätig zu sein. Ute Bock hat mich im Jahr 2001 angerufen: „Ich brauche eine Waschmaschine für eine Flüchtlings-
familie.“ Ich habe gesagt: „Ihr könnt meine abholen.“ Das hat der Leiter des neuen Flüchtlingshauses der Diakonie auf der Rossauer Lände gehört und gesagt: „Diese Frau soll bei mir arbeiten.“ Das war der Beginn. Anfangs kamen so viele Menschen, dass wir gar keine Zeit hatten, rechtzeitig genügend Betten aufzustellen.
Bis 2012 war ich Mitarbeiterin im Flüchtlingshaus und vor allem für die Betreuung der Kinder zuständig. Ich habe sie mit ihren Eltern zu Ärzten und Ämtern begleitet, habe mit ihnen Ausflüge gemacht und sie zum Fußballspielen mitgenommen. Es ist wichtig, ihnen Struktur im Alltag zu geben. Ich versuche immer, Menschen über ihre eigenen Ziele zu motivieren. Irgendwann haben sie dann angefangen, ihre Zimmer auszumalen, die Möbel bunt zu streichen, den grauen Hof zu begrünen. Auch die Kinder haben zu malen begonnen. Farbe hat ihre Traurigkeit vertrieben.
Nach meiner Pensionierung 2012 habe ich diese Tätigkeiten als Freiwillige vorerst weitergeführt. Später habe ich vor allem die Lernbetreuung der Diakonie für Flüchtlingskinder unterstützt. Seit einem Unfall im Jänner 2023 bin ich leider in meinen Möglichkeiten eingeschränkt. Ich habe gelernt: Wer Hoffnung in sich trägt, kann sie mit anderen Menschen teilen, kann sie festhalten, damit sie nicht fallen. Ich bin sehbehindert, aber ich erkenne früh, wenn es Menschen nicht gut geht, und nehme mich ihrer an. Ich gebe, so viel ich kann. Das ist meine Lebensaufgabe.
„Ich verstehe mich als Armen-Wirt“, sagte Norbert Karvanek über seine Tätigkeit im Häferl, wo Menschen mit wenig Geld eine warme Mahlzeit bekommen. (Bildquelle: Mario Lang)
Ein schlanker, hochgewachsener Mann, freundlich, die langen Haare zu einem Zopf zusammengebunden, fünf volle Teller in den Händen – so kannten viele Menschen Nobert Karvanek aus dem Häferl, dem Armen- und Obdachlosenwirtshaus der Stadtdiakonie Wien. Dieses ganz besondere Lokal ist im Keller der evangelischen Gustav-Adolf-Kirche in Gumpendorf im sechsten Wiener Bezirk untergebracht.
An den Tisch serviert
Seit 1989 wird hier von Donnerstag bis Sonntag täglich warmes Essen gekocht und ab Punkt zwölf Uhr Menschen an den Tisch serviert, für die das alles andere als eine Selbstverständlichkeit ist. Anfangs waren es vor allem Haftentlassene, mit der Zeit immer mehr von Wohnungslosigkeit und Armut Betroffene. 20 Tonnen Lebensmittel- und selbstlose Geldspenden machen es möglich, bis zu 400 Menschen pro Tag zu versorgen.
„Ich verstehe mich als Armen-Wirt“, hat Norbert Karvanek sein Berufsbild einmal beschrieben und sich damit gut getroffen. Denn ein Wirt ist ein Mensch, der nicht nur für das leibliche Wohl seiner Gäste sorgt, sondern ihnen auch einen Raum bietet, wo sie sich wohlfühlen können und mit Respekt behandelt werden. Dafür hat Norbert Karvanek gemeinsam mit einem Team von Freiwilligen gesorgt.
Empathie hat ihre Wurzeln oft im persönlichen Erleben: Karvanek hatte eine alleinerziehende, oft überforderte Mutter. Der Großvater arbeitete als Installateur und verdiente sich abends als Kellner im Café Adlerhof ein Zubrot. Sein Enkel kam oft mit und wuchs, wie er selbst erzählte, „quasi im Kaffeehaus auf“. Im Kinderheim in Döbling wurde er früh als „kein einfaches Kind“ abgestempelt.
Vom Gast zum Gastgeber
Schwierige familiäre Verhältnisse, eine tiefe Unzufriedenheit mit dem Leben und der Zuckerbäckerlehre und sein ungezügeltes Temperament führten zu einer Katastrophe: Im Alter von 23 wurde Karvanek wegen schwerer Körperverletzung mit tödlichem Ausgang zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.
Der Weg zurück war lange und hart. Im Advent 2002 nahm ein Freund Karvanek mit ins Häferl, und die Verwandlung vom Gast zum Gastgeber nahm ihren Lauf. Er traf in dieser Einrichtung auf unvoreingenommene Menschen, die ihn nicht auf seine Fehler reduzierten, sondern ihm als Menschen eine neue Chance gaben – allen voran Gerlinde Horn, Häferl-Gründerin und Frau des damaligen Wiener Superintendenten. Karvanek nutzte die Chance, wurde Angestellter der Stadtdiakonie und mehrere Jahre auch Leiter des Häferl.
Norbert Karvaneks Lebensweg verlief nicht gerade und war bis zu seinem frühen Tod im Herbst 2021 immer wieder von großen Problemen überschattet. Aber seine Gabe, Menschen einfach so anzunehmen, wie sie sind, führte ihn an einen Ort, wo er viele Jahre lang für Arme im Schatten des reichen Wien ein wertvolles Vorbild wurde.
Im Café & Bistro Kowalski in Kitzbühel, das das Diakoniewerk führt, konnte Melanie Knödl ihre Talente entwickeln und sich erfolgreich auf den ersten Arbeitsmarkt vorbereiten.(Bildquelle: Privat)
Dass Melanie Knödl seit Frühjahr 2023 als reguläre Mitarbeiterin in der Küche eines Hotels in Hopfgarten arbeiten kann, ist eine höchstpersönliche Erfolgsgeschichte für die junge Tirolerin. Eine Geschichte, zu der aber auch die Diakonie ein wichtiges Kapitel beigesteuert hat.
Jeder Mensch – mit Behinderung oder ohne – hat das Recht auf Arbeit. So ist es in der Behindertenrechtskonvention festgeschrieben. Trotzdem bleibt vielen der Weg in den so genannten ersten Arbeitsmarkt versperrt. Inklusion ist oft noch reines Lippenbekenntnis.
Begabungen entwickeln
Melanie Knödl hat Lernschwierigkeiten und kann deshalb nicht jede Aufgabe übernehmen. Im Café & Bistro Kowalski in Kitzbühel konnte sie aber zwei Jahre lang ihre Begabungen und Talente entwickeln. In dieser Einrichtung des Diakoniewerks bereiten Ausbildner:innen Menschen mit Behinderung gezielt auf die reguläre Berufswelt vor und vermitteln sie an interessierte Arbeitgeber. Dabei werden zunächst die individuellen Stärken der Betreuten identifiziert und dann geduldig trainiert.
Nicht alle schaffen den großen Schritt, doch Melanie Knödl konnte ihren aktuellen Arbeitgeber mit ihren im Kowalski erworbenen fachlichen und sozialen Fähigkeiten überzeugen. Sie arbeitete sorgfältig und eigenverantwortlich, bereitete guten Kaffee zu und bediente die Gäste des Cafés gekonnt. Besonders der Umgang mit den Kundinnen und Kunden bereitete ihr große Freude.
Anfangs musste sie auch Rückschläge verdauen: Nicht jede Arbeit entsprach ihren Vorstellungen, ein Praktikum wurde vorzeitig abgebrochen. Eine harte Erfahrung, mit der sie mit Hilfe ihrer Betreuer:innen aber umzugehen lernte.
Selbstbestimmt leben
„Melanie ist ein positiver Mensch, sie hat eine ruhige und angenehme Art“, lobt sie die pädagogische Leiterin des Kowalski: „Man kann sich auf sie verlassen. Sie hat ganz viele Fertigkeiten, behält gut den Überblick und kennt die Abläufe. Außerdem ist sie offen für Neues und ein echter Teamplayer. Melanie ist sicherlich für jeden Betrieb eine Bereicherung.“
Die Arbeit in der Hotelküche ermöglicht Melanie Knödl heute ein selbstbestimmtes Leben. Damit ist sie ein Vorbild für andere Menschen mit Behinderung, das zeigt: Es ist möglich, dieses große Ziel zu erreichen.